Entsorgen – eine unverzichtbare Kultutechnik

Veröffentlicht am Posted in Entwicklungsräume, Erfüllendes Tun

Leben, erleben wir ein erfülltes oder ein vollgestelltes Leben?

„Fast alle Häuser und Wohnungen, die ich kenne, sind voll gestopft mit Dingen, zehntausend Gegenstände, die Wohnraum beanspruchen, beheizt und zwischendurch neu organisiert werden müssen, damit hinzukommende Dinge ebenfalls Platz beanspruchen können. Meist folgt dem Fehler, unnötiges angeschafft zu haben, der nächste Fehler: dass man sich von dem unnötigen nicht augenblicklich wieder trennt.“ (Arno Geiger, Das glückliche Geheimnis, S.143)

Wer zu sehr mit dem Anhäufen und der Organisation des Lebens – Alltag, Termine, Besitz, Konsum, Anerkennung, Macht – beschäftigt ist, dem schwindet das Gefühl der Erfüllung.

Erfüllung kommt aus dem freien Raum in dem wir unser Dasein kreativ gestalten können.

Wie im Leben die Funktion der materiellen Entsorgung besorgt werden muss, so gilt es auch, sich um die mentale und zwischenmenschliche Entsorgung zu kümmern. Beides sind unverzichtbare Kulturtechniken. Je nachhaltiger umso besser, denn von der Art der Entsorgung hängt ab, wie stark die Umgebung belastet, oder wie frei und offen der Raum der Möglichkeiten bleibt, egal ob es sich um Gegenstände, Gedanken oder Beziehungen handelt.

„Wer klug ist, befreit sich (nicht nur) so rasch es nur geht, von ungenutzt herumliegendem Besitz“ (Arno Geiger, S. 144), sondern ebenso von unnützem Gedankenmüll und unbearbeiteten Konflikten. „Denn es macht (nicht nur) einen Unterschied, zwischen welchen Dingen ich meinen Alltag verbringe“ (eben da), sondern auch, in welchem Beziehungsumfeld und in welcher Gedankenwelt ich mich bewege.

Es lohnt sich, sich immer wieder, für sich selbst und miteinander, zu entsorgen, um den Raum der Möglichkeiten offen zu halten.

Menschenrechte – Menschenpflichten

Veröffentlicht am Posted in Entwicklungsräume, Ethik&Pragmatismus, Freiheit&Begrenzung, Gemeinwohl

Garantiert eine Gemeinschaft individuelle Rechte, dann ergeben sich daraus auf Seiten der Individuen  Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft.

Die Würde des einzelnen Menschen bleibt unantastbar, selbst wenn eine Person ihren Verpflichtungen
gegenüber der Gemeinschaft nicht gerecht wird. Daher bleibt dem Mensch (in der Demokratie) immer das Recht, seine Rechte vor einem unabhängigen Gericht zu vertreten und einzuklagen.

Moralisch gesehen kann aber nur der Rechte, die von einer Gemeinschaft garantiert werden, einfordern, der versucht, seinen Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft nachzukommen.

Die Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft besteht darin, eben jene Rahmenbedingungen zu erhalten, die die individuellen Rechte und die Menschenwürde garantieren.

(Mehr dazu bei Charles Taylor, 2001: Wie viel Gemeinschaft braucht die Demokratie).

Umwelt-Verantwortung

Veröffentlicht am Posted in Entwicklungsräume, Öko-systemische Perspektiven, Zweifel&Skepsis
Egal, wie umweltbewusst man lebt, die Probleme hören nicht auf. Wie geht man damit um?
Eine Kolumne von ZEITMAGAZIN NR. 47/2020

Wenn man sich mit Umweltthemen beschäftigt, bekommt man schnell das Gefühl der Ausweglosigkeit. Selbst wenn man sich in jedem Bereich seines Lebens ökologisch einigermaßen korrekt verhielte, gibt es ja immer noch die, die es nicht tun. Abgesehen davon, dass man es natürlich selbst niemals schaffen würde. Es ist das Gefühl der Ohnmacht, von dem man weiß, dass es Menschen depressiv macht: Was auch immer man tut, es ist nie genug. Die schlechten Nachrichten reißen trotzdem nicht ab.

Ich hatte Menschheit gesagt, aber Eser differenzierte diesen Begriff erst mal: „Nicht jeder Mensch ist in gleicher Weise Teil des Problems. Gerade ist eine Studie herausgekommen, die zeigt, dass nur zehn Prozent der Menschheit für die Hälfte der CO₂-Emissionen verantwortlich sind. Aber klar, das ist superfrustrierend: Selbst wenn man ganz viel richtig macht, ist die Gesamtmenge, die man emittiert, allein dadurch, dass man in einer industrialisierten Gesellschaft lebt, viel zu hoch.“

„Genau das macht mich ja so fertig: Ich sündige, egal wie sehr ich mich anstrenge“, sagte ich.

„Ich würde zunächst mal gern den Begriff der Sünde hinterfragen – besser ist der Begriff der Verantwortung. Verantwortung übernimmt man, und es gehört dazu, dass es eine Grenze gibt: Man ist für das eigene Handeln verantwortlich, aber für das der anderen nicht. Das Schwierige ist, dass das, was der Einzelne tut, nicht reicht. Der Dampfer fährt, und wenn einer einen Anker ins Wasser hängt, dann bringt das gar nichts. Und deshalb muss es politisch verhandelt werden.“

„Aber immer wenn ich zu diesem Gedanken gelange“, sagte ich, „lässt meine Selbstdisziplin nach, und ich kaufe Dinge, von denen ich schon im Moment des Kaufens weiß, dass ich sie nicht brauche.“

„Für mich ist das auch eine Frage der Selbstachtung: Verhalten, das man als falsch erkannt hat, sein zu lassen. Nicht aus der Illusion, man könne die Welt verändern, sondern aus dem Bedürfnis heraus, im Einklang mit den eigenen Überzeugungen zu leben.“

„Und es ist ja nicht so, dass wir kollektiv nicht handeln können“, fuhr Eser fort. „Das hat Corona gezeigt, die politische Ansprache, die neu ist: ›Ihr müsst es nicht gut finden, aber wir müssen das jetzt machen, weil sonst etwas passiert, das noch viel unangenehmer ist.‹“

„Und diese Ansprache fehlt in Umweltfragen?“

„Genau. Je weniger Regulierung man sich zutraute, desto mehr setzte man stattdessen auf Umweltbildung. Nach dem Motto: Wir müssen schon in der Schule den Kindern sagen, was das Problem ist. Dabei sollte man die Kinder damit in Ruhe lassen.“

„Und was genau ist noch mal das Problem?“

„Und was mache ich jetzt?“

„Ich zitiere da immer gerne diesen Satz von Fulbert Steffensky, dem Theologen: ›Hoffen heißt handeln, als wäre Rettung möglich. Es ist aber nicht ausgemacht, dass unsere Mühe auch zur Rettung führt.‹“

Das ist nun wirklich kein optimistischer Satz, aber seit ich ihn kenne, bin ich weniger verwirrt.

Face-to-face: Gemeinsam in einer Situation da sein

Veröffentlicht am Posted in Entwicklungsräume, Mediale Räume, Raum&Zeit, Resonanz&Mitgefühl

Die besondere Qualität von Face-to-face-Situationen wird offenbar, wenn wir auf andere mediale Räume angewiesen sind. Schreiben, Telefonieren, Skypen. Aber worin besteht diese Qualität genau, was sind die Unterschiede? Verschiedenste Faktoren wirken ineinander. Ein wesentlicher Faktor ist die Situation.

In einer Face-to-face-Situation teilen wir mit anderen beteiligten dieselbe Situation, dieselbe Umgebung.

Das ist beim Schreiben und telefonieren aber auch beim skypen anders. Beim skypen sehen wir die Beteiligten auf einem Bildschirm, sie befinden sich jedoch in anderen Situationen und Umgebungen. Das ist ein Unterschied, der offensichtlich und gut spürbar einen erheblichen Unterschied macht.

Die gemeinsam geteilte Situation und Umgebung erlaubt viel weitergehende, in der Summe ganz andere Resonanzen. „…Die Situation, die Umgebung, all das hebt uns den Menschen in den Blick, bringt uns nahe. Es ist ein Innewerden“ schreibt Uwe Timm (Ikarien, S. 421).

Wir existieren im miteinander Tun und miteinander Sprechen.

 

 

 

 

 

 

Entwicklungsraum Erde

Veröffentlicht am Posted in Entwicklungsräume, Sinn&Hoffnung, Utopie&Wirklichkeit

Wie können wir die Corona-Krise angemessen verstehen und als Chance nutzen? In einem Beitrag für die SZ verdeutlichen die Wissenschaftler Christoph Rosol, Jürgen Renn und Robert Schlögl die Zusammenhänge zwischen Erderwärmung, Zerstörung der Artenvielfalt und gesundheitlichen Problemen. Wir gestalten die Entwicklungsräume, in denen wir uns bewegen selbst, durch die Art wie wir Beziehungen gestalten, zu uns selbst, zu anderen und zur Umgebung. Wenn es gut geht, entwickelt sich eine ökosystemische Wissenschaft, eine Art zu denken, wie es Gregory Bateson („Ökologie des Geistes“) vorgeführt hat.

„..die sich vom Ziel ziehen lassen“

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„Ich suche nicht, ich finde…Alle Wege sind offen, und was gefunden wird, ist unbekannt. Es ist ein Wagnis, ein heiliges Abenteuer. Die Ungewissheit solcher Wagnisse können eigentlich nur solche auf sich nehmen, die im Ungeborgensten sich geborgen wissen, die in der Ungewissheit geführt werden, die sich vom Ziel ziehen lassen und nicht selbst ein Ziel bestimmen.“

Pablo Picasso

Menschliche Entwicklungsräume (Neun Thesen)

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Die Homo Sapiens haben im Verlauf der Evolution gelernt, die Entwicklungsräume, in denen sie sich bewegen, kreativ und weitgehend selbst gestalten – und zwar durch die Art ihrer Beziehungsgestaltung. Entwicklungsräume eröffnen sich in verschiedenen Dimensionen, die miteinander verbunden sind:

  1. in der Beziehung zu sich selbst
  2. im Bereich des Zwischenmenschlichen (in Beziehungen zu anderen Menschen)
  3. in der Beziehung zur Umgebung
Neun vorläufige Thesen zu menschlichen Entwicklungsräumen
  1. Notwendigkeit: Menschen brauchen Entwicklungsräume, in denen sie sich entfalten können.
  2. Wohlbefinden: Menschen fühlen sich wohl, wenn Entwicklungsräume zugänglich sind, und wenn sie erleben, dass sie diese Entwicklungsräume aktiv und kreativ gestalten können.
  3. Individuelle und gemeinsame Entwicklungsräume: Wir können zwischen (a) individuellen und (b) gemeinsamen Entwicklungsräumen unterscheiden. Es kommt auf die Perspektive an.
  4. Bezogensein und Gegenseitigkeit: Im Bereich des Zwischenmenschlichen (in menschlichen Beziehungen) begrenzen, bedingen und erschließen sich individuelle und gemeinsame Entwicklungsräume gegenseitig. Die Erschließung von Entwicklungsräumen setzt gegenseitige Abstimmung voraus.
  5. Basale Beziehungssysteme: Eltern-Kind-Beziehungen, Paarbeziehungen, Familienbeziehungen, oder intensive Zweier- oder Gruppenbeziehungen können als besondere Entwicklungsräume aufgefasst werden, in denen sich menschliche Beziehungsfähigkeiten entwickeln können (z.B. Selbstempfinden (Daniel Stern), Empathie, Mitgefühl, Gegenseitigkeit, Abstimmung, kreative Kooperation und kreative Beziehungsgestaltung). Basale Beziehungssysteme sind Teil sozialer, kultureller und natürlicher Systemen (sie sind also eingebettet in größere Zusammenhänge, mit denen sie in enger Wechselwirkung stehen).
  6. kreative Kooperation und Abstimmung: Gelingt es im gemeinsamen Miteinander (a) individuelle Entwicklungsräume optimal zu koppeln und (b) gut aufeinander abzustimmen, dann erweitern sich die Möglichkeiten und neue Möglichkeitsräume entstehen.
  7. Der Entwicklungsraum der einen ist der Entwicklungsraum der anderen: Wenn Menschen sich gegenseitig Entwicklungsräume zugestehen und zur Verfügung stellen, kann sich Kooperation entwickeln. In kooperativen Beziehungen eröffnen sich Menschen gegenseitig Entwicklungsräume.
  8. Probleme und Konflikte:
    – Wenn sich, aus welchen (inneren oder äußeren) Gründen auch immer, keine passenden Entwicklungsräume bieten oder eröffnen (oder diese nicht wahrgenommen werden), kommt es zu Problemen und Konflikten. Individuen oder Gemeinschaften, die nicht fühlen (empfinden!), dass sie sich entfalten und Entwicklungsräume gestalten können, reagieren depressiv nach Innen und/ oder aggressiv nach Außen.
    – Individuen oder Gemeinschaften, die anderen Entwicklungsräume verweigeren, stark beschränken oder rauben, reagieren ebenfalls depressiv nach Innen und/oder aggressiv nach Außen.
  9. Eskalation von Gewalt: Wo Menschen sich selbst, Anderen oder sich gegenseitig Entwicklungsräume streitig machen, kommt es zu Kämpfen und gewaltsamen Auseinandersetzungen.

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