Transkulturelle Erfahrung in China
Zwischen 2012 und 2014 unterrichtete ich, im Rahmen der DCAP und als Teil eines Trainerteams, systemische Familientherapie an der Tongji Universität Shanghai und der Peking Universität. Daran anknüpfend wurden meine Frau und ich 2015 und 2018 nach Peking eingeladen, um dort Paartherapie zu unterrichten.
Wir begegneten sehr aufgeschlossenen chinesischen Kolleg:innen voller Hoffnung und Neugier auf fachlichen Input. Gegenseitige Irritationen gehören wesentlich zur transkulturellen Erfahrung., im Rahmen von gegenseitigem Respekt kann das „Fremde“ fruchtbar werden. Inhaltlich gab es auf fachlicher Ebene keinerlei Beschränkungen.
Gleichzeitig veränderten sich die politischen Rahmenbedingungen radikal. Der Machtantritt von XI beendete systematisch, Schritt für Schritt die Ära der pragmatischen Öffnung. Eine neue Ära des ideologischen Primats wurde eingeleitet, wie wir sie aus den Zeiten Maos kennen. China entwickelte sich zurück zu einem totalitären sozialistischen Staat, wirtschaftlich mächtig und digital angetrieben und gesteuert.
Menschenrechte und Freiheitsrechte werden massiv eingeschränkt und verletzt, „westliche Ideologien“ aktiv bekämpft. Die KP baute die Muslim-Region Xinjiang zu einem „Lagerstaat kulturrevolutionärer Prägung“ um und aus. Der pulsierenden Metropole Hongkong brach sie das demokratische Rückgrat. Das eigene Gesellschaftssystem wird propagandistisch gefeiert während demokratische Werte (Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, Gewaltenteilung, Zivilgesellschaft) offiziell als „verworrener Wahnsinn“ geschmäht werden.
Dieser veränderte Kontext, der ohne Realitätsverlust nicht verdrängt werden kann, schränkt den Möglichkeitsraum für Kooperationen im Feld von Beratung und Psychotherapie empfindlich ein (siehe dazu: Zum Schutz des therapeutischen Raumes – Schweigepflicht und Datenschutz in Europa und China).
im Jahr 2019, noch vor der Corona Pandemie, entschloss ich mich daher nicht mehr in China zu unterrichten. (mehr dazu. Psychotherapie unterrichten in China – achte Thesen zur Kooperation).
Es bleibt die transkulturelle Erfahrung, der intensive, menschliche und beglückende Austausch mit den chinesischen Kolleg:innen, eine wertvolle Inspiration – für sich genommen zuversichtlich stimmend, im aktuellen politischen Kontext betrachtet beunruhigend. Der von China ausgelöste und aggressiv betriebene „Wettbewerb der Systeme“ zwingt alle Beteiligten, sich zu positionieren, und ich bevorzuge einen klaren Standpunkt .
Ich danke allen Beteiligten. Einen Eindruck der wertvollen transkulturellen Erfahrung vermittelt der Bericht von Inge Liebel-Fryszer: 2013_Liebel-Fryszer_China