Nach der Krönungsmesse des Xi – Acht Thesen zur Kooperation mit China im Feld Psychotherapie

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Der Parteitag der KPch im Oktober 2022 bestätigt leider alle Einschätzungen und Befürchtungen von 2019/2021. Auf der Krönungsmesse des großen „Navigators“ Xi gab es eine gezielte und historische Inszenierung. Ein bizarrer Moment mit einer deutlichen Botschaft an alle Chinesen und die Welt. Die Zeit der Reformen und der Öffnung Chinas ist vorbei. Game over. Der Mann, der da vor aller Augen abgeführt und gedemütigt wurde (und keiner rührt sich!) war kein Geringerer als der „überragende Führer“ Hu Jintao (2002-2012 Generalsekretär der KPch, Staatspräsident von 2003-2013), ein Symbol für die Reform- und Öffnungspolitik Chinas nach Mao und vor Xi. Der lange Marsch der KPch setzt sich mit der Unerbittlichkeit des großen Sprungs nach vorn, der Kulturrevolution und des Massakers am Tian‘anmen fort. Morgen Taiwan und übermorgen die ganze Welt.

Wem angesichts der Bilder schaudert, der erhebe sich. Ich bin froh, dass ich den Saal bereits vorher verlassen habe. Wer (spätestens jetzt) so tut als sei nichts gewesen, diskreditiert sich selbst. Die neue Situation erfordert klare Positionierungen und Grenzziehungen.

Unterrichten in China – Acht Thesen zur Kooperation
im Feld von Psychotherapie und Beratung

Jan Bleckwedel

Oktober 2022

 

  1. Wer Psychotherapie in China unterrichten will, muss nicht nur die kulturellen und sozialen, sondern auch die politischen und gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen zur Kenntnis nehmen. Dabei geht es insbesondere um drei Tatsachen: (A) jede Person, die sich auf dem Territorium der Volksrepublik China aufhält, ist einer strikten und lückenlosen Überwachung, Kontrolle und Lenkung durch die KPch und die staatlichen Organe ausgesetzt. Dies betrifft alle Lebensbereiche, auch den privaten Bereich und den Gesundheitsbereich. (B) Ein Schutz von Persönlichkeitsrechten durch eine unabhängige Justiz ist für niemanden gegeben. (C) Nach den neuen Hongkonger Sicherheitsgesetzen können alle Personen, die sich in oder außerhalb von China an Handlungen oder Äußerungen beteiligen (oder beteiligt haben oder dies planen), welche – nach Ansicht der Behörden – gegen das gesellschaftliche System, gegen die KPch und ihre Kader (insbesondere den Vorsitzenden Xi), das chinesische Volk, den Staat und seine Organe oder das herrschende Regime gewendet sein könnten, strafrechtlich verfolgt werden.

  1. Für Kooperationen im Feld von Psychotherapie und Beratung gelten besondere fachliche Regeln und ethische Standards (im Unterschied zu anderen Feldern oder Bereichen wie z.B. Technologie, Handel, allgemeiner kultureller Austausch, Kunst, Diplomatie oder Politik).

  1. Die fachlichen und ethischen Standards für Psychotherapie und Beratung sind – wie in den verschiedenen psychotherapeutischen Fachgesellschaften und Psychotherapeutenkammern formuliert und verbindlich festgelegt – für Lehrende, die Mitglieder solcher Fachgesellschaften und Kammern sind, bindend und auch für die Lehre in China oder anderen Ländern gültig und unverzichtbar. In dieser Hinsicht kann es keine zwei Maßstäbe geben.

  1. In der Zusammenarbeit mit chinesischen Lehrenden und Klienten müssen, wie dies auch sonst üblich ist, fachliche Regeln und ethische Standards offen, transparent und verständlich dargelegt, klar kommuniziert und vertreten werden (können). Dabei können Unterschiede und Konflikte deutlich werden. Dennoch ist die offene und unbedrohte Kommunikation über Standards und Regeln eine Voraussetzung sine qua non für Kooperationen in Praxis und Lehre im Feld von Therapie und Beratung.
  2. Unverzichtbare fachliche und ethische Standards sowohl für die Ausübung von Psychotherapie als auch für die Lehre von Psychotherapie sind unter anderem: Freiheit der Rede und der Gedanken in der therapeutischen Situation, Datenschutz und Schweigepflicht, Achtung der Autonomie von Klienten(systemen), weitgehender Schutz von Klienten vor Schädigungen, Missbrauch, Bedrohungen oder Manipulationen durch therapeutische Prozesse oder Maßnahmen.

  1. Können die genannten fachlichen und ethischen Standards und Rahmenbedingungen nicht eingehalten oder realisiert werden, handelt es sich nicht (mehr) um Psychotherapie oder Beratung, sondern um die Anwendung von Psychotechniken- und methoden in einem anderen Rahmen (zum Beispiel um mentale Manipulation im Sinne einer bestimmten Ideologie). Der Unterschied muss klar benannt werden.

  1. Eine gelingende Kooperation im Feld von Psychotherapie und Beratung ist nur möglich im Rahmen von gegenseitigem Respekt, gegenseitiger Offenheit und gegenseitigem Vertrauen. Die Würde jedes einzelnen ist zu achten. Eine Zensur oder Bedrohung findet nicht statt.

  1. Ein Verschweigen, Verleugnen oder Unterlaufen von fachlichen Regeln und ethischen Standards käme nicht nur einer Irreführung von Kooperationspartnern in China gleich, sie würde auch die Mitgliedschaft in Gesellschaften und Psychotherapeutenkammern an den Heimatorten Infragestellen.

Jan Bleckwedel, 22.10.2022

(ausführlicherer Text vom Mai 2021)

 

 

Prinzipien der Kooperation

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Prinzipien der Kooperation in den Formaten
Psychologische Beratung, Psychotherapie, Supervision

Acht Thesen zur Zusammenarbeit


Jan Bleckwedel

 

Leitgedanke: Soviel Klarheit wie nötig, soviel Kooperation wie möglich.

1.    Feldspezifische Besonderheiten der Kooperation beachten

Bei jeder Art der Zusammenarbeit sollen die jeweiligen Besonderheiten eines Arbeitsfeldesberücksichtigt werden. Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für Ausbildungs-Kooperationen im Feld psychologische Beratung, Psychotherapie und Supervision unterscheiden sich von Kooperationen in den Feldern Soziales, Medizin, Politik, Wirtschaft, Technik oder Kultur.

2.    Grundlagen und Voraussetzungen von Kooperationen explizit formulieren und transparent kommunizieren

Rahmenbedingungen, Grundlagen und Voraussetzungen für Ausbildungs-Kooperationen im Feld psychologische Beratung, Psychotherapie und Supervision sollen (a) explizit formuliert und (b) transparent kommuniziert werden.

3.    Orientierung an international gültigen fachlichen Standards und ethischen Leitlinien in Praxis und Lehre

Die Prinzipien der Zusammenarbeit in Ausbildung und Lehre sollen sich an den international gültigen fachlichen Standards und ethischen Leitlinien für die Beziehungsgestaltung in psychologischer Beratung, Psychotherapie und Supervision orientieren.

4.     Prinzipien, fachliche Standards und ethische Leitlinien professioneller Zusammenarbeit in den Formaten psychologische Beratung, Psychotherapie und Supervision

Es gelten die fachlichen Standards und ethischen Leitlinien der jeweiligen nationalen und internationalen Fachverbände und professionellen Vereinigungen[1].

5.    Transparente, informierte und reflektierte Zusammenarbeit in Praxis und Lehre

Rahmenbedingungen, Grundlagen, fachliche Standards und ethische Leitlinien sollen Klientensystemen gegenüber (in der passenden Form) benannt und offengelegt werden, um eine informierte Einwilligung zur Zusammenarbeit („Informed Consent“) zu ermöglichen. Die praktische Zusammenarbeit kann auf dieser Grundlage jederzeit kritisch von allen Partnern hinterfragt, reflektiert und gegebenenfalls (ohne Androhung von Repressalien oder Nachteilen) beendet werden.

6.    Die therapeutische Beziehungen soll als sicherer Ort geschützt werden – Wächterfunktion, Schutz des Raumes, Schutz vor Schädigungen.

Wer als Klient psychologische Beratung, Psychotherapie oder Supervision in Anspruch nimmt, kann, im Rahmen von gegenseitigem Respekt[2], von einem besonders gesicherten Vertrauensraum ausgehen. Gleichzeitig sind Hilfebeziehungen durch eine grundlegende Asymmetrie (Wissen, Macht) gekennzeichnet[3]. Wird der therapeutische Raum nicht ausreichend geschützt, oder treten (vermeidbare) Schädigungen (des Vertrauens) in diesem intersubjektiven Raum auf, kann es zu besonders gravierenden Folgeschäden kommen. Diejenigen, die einen solchen Vertrauensraum anbieten, tragen daher eine besondere Verantwortung für sichere Rahmenbedingungen, den Schutz des Raumes und den Schutz von Klienten. Mit anderen Worten: Die vornehmste Aufgabe von Institutionen und Berater*innen, Therapeut*innen, Supervisor*innen besteht darin, den therapeutischen Vertrauensraum zu sichern und zu schützen. Diese Wächterfunktion gilt selbstverständlich auch für Ausbilder*innen, unabhängig von Richtungen, Verfahren oder Methoden, Orten, politischen Systemen oder Kulturen. Zu den unverzichtbaren Rahmenbedingungen und Standards gehören:

  • Informierte, freiwillige und reflektierte Teilnahme[4]
  • Vertraulichkeit, Verschwiegenheit und Datenschutz
  • Freies Sprechen (eine Zensur findet nicht statt)
  • Die Würde und Autonomie von Klient*innen und Klientensystemen wird geachtet
  • Schutz vor Überwachung, Kontrolle oder Manipulation durch „Dritte“
  • Transparente Beziehungsgestaltung, Schutz vor mentaler Manipulation
  • Schutz vor dem Missbrauch von Macht in einer asymmetrischen Beziehung
  • Schutz vor körperlichen oder mentalen Übergriffen in der Arbeitsbeziehung
  • Rahmen aus gegenseitigem Respekt
  • Arbeitsbündnis auf der Grundlage von Vertrauen und gemeinsam geteilten Zielen
  • Weitgehender Schutz vor schwerwiegenden und nachhaltigen emotionalen Verletzungen und Schädigungen

All das gilt selbstverständlich auch für Ausbildungszusammenhänge in den Formaten psychologische Beratung, Psychotherapie und Supervision, die nicht nur den Modellfall eines geschützten Raumes darstellen, sondern in denen eben die fachlichen Standards und ethischen Regeln unterrichtet und vermittelt werden sollen, die unverzichtbar und hilfreich sind, wenn es darum geht, alle Akteure im Raum und den beschriebenen Vertrauensraum selbst (so weit als möglich) zu schützen[5].

7. Klarheit und Klärung: Direkte und offene Kommunikation über unterschiedliche Werte und Auffassungen

Es kommt vor, dass in der Zusammenarbeit unterschiedliche Auffassungen über grundlegende Werte, fachliche Standards und ethische Regeln auftauchen. Da diese die Grundlagen einer jeden Zusammenarbeit betreffen (den Kontext bilden, in dem alle Interaktionen und Kommunikationen ihre jeweilige Bedeutung erhalten), sollten solche Unterschiede thematisiert und (erstrangig) besprochen werden, mit dem Ziel, eine Klärung herbeizuführen, sowie über einen angemessenen Umgang mit unterschiedlichen Auffassungen zu beraten.

Bei unüberbrückbaren Auffassungen soll die Zusammenarbeit bis zu einer Klärung ausgesetzt werden. Kommt es zu keiner Einigung, soll die Zusammenarbeit beendet werden, da die Voraussetzungen für ein tragendes Arbeitsbündnis nicht (mehr) gegeben sind. Beendet werden soll die Zusammenarbeit auch dann, wenn in Dreieckskontrakten (zum Beispiel zwischen einer veranstaltenden Organisation, Teilnehmenden und Lehrenden) die Gefahr einer negativen Triangulierung besteht (etwa, wenn Teilnehmende durch einen Dissens in nicht zumutbare Loyalitätskonflikte geraten[6]).

8.    Gegenseitiger Respekt – Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Eine respektvolle Zusammenarbeit in den Formaten psychologische Beratung, Psychotherapie und Supervision basiert auf gleichberechtigten, weitgehend „herrschaftsfrei“ (Habermas) gestalteten Diskursen. Nur so ist ein offener, authentischer und ehrlicher Austausch auf Augenhöhe möglich, auch über kontroverse, unbewusst gemachte oder kollektiv tabuisierte Themen. Solchermaßen gestaltete Dialoge schaffen Vertrauen und ermöglichen gegenseitiges, transkulturelles Lernen jenseits von Dominanzstreben. Ein fachlicher Austausch zwischen den Welten über unterschiedliche Welten sollte offen und angstfrei geführt werden können.

Jan Bleckwedel im April 2021

Fußnoten

[1] Die entsprechenden Dokumente können jederzeit über das Internet aufgerufen und eingesehen werden.

[2]Vgl.  Bleckwedel, J. (2008). Systemische Therapie in Aktion. S. 39-55 u. S. 119ff

[3] Genauer in Bleckwedel, J. (2018). Supervision als praktizierte Ethik. Vortragsskript, Arbeitsblätter (unveröffentlicht).

[4] Der Umgang mit sogenannten Zwangskontexten oder Semi-Zwangskontexten stellt einen Spezialfall dar, der hier nicht weiter ausgeführt werden kann.

[5] Genauer dazu Bleckwedel, J., Skripten/PPTs zum Thema „Unterschiedliche Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten von Therapeut/innen und Klient/innen im therapeutischen Prozess“, oder „Systemic Therapy as Applied Ethics, Principles and Standards in Therapy. Synopsis of Chinese and German Principles and Standards in Therapy”.

[6] Für das Format Supervision ausführlich beschrieben in: Bleckwedel, J. (2020). Einen Auftrag zurückgeben. Eine Geschichte von professioneller Courage und DemutThemenheft Gewagt: CourageZeitschrift Supervision 38 (4) 2020, S 28-32. Siehe auch: https://doi.org/10.30820/1431-7168-2020-4-28.