Genug – Radikal hoffen

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Genug. 

Unter diesem Motto demonstrierten am 1. September Hunderttausende Israelis. 

Wenn wir zu hoffen aufhören, geschieht, was wir befürchten, bestimmt, sagt Ernst Bloch.

Zu hoffen bedeutet, in Zeiten  der Verzweiflung den Mut aufzubringen, an eine andere Welt zu glauben. Wir sind zerstörerische und verletzliche Wesen. Unsere Verletzlichkeit wird nie enden, so viel ist sicher. Aber wir können in jedem Moment damit beginnen, über die Grenzen der eigenen Gruppe hinweg moralisch zu empfinden und ethisch zu handeln. Wir können uns weigern, irgendeinen Menschen danach zu beurteilen, welcher Gruppe er zufällig angehört.  Das ist nicht unmöglich, es gibt Beispiele. 

Eine Politik, der Hoffnung wäre getragen von diesem Gedanken und dieser Erfahrung. 

Wir sind auf die Zukunft bezogen, obwohl niemand mit Sicherheit die Zukunft voraussehen kann. Wer die Zukunft allein im Spiegel der  Vergangenheit betrachtet, bleibt in der Vergangenheit gefangen. Wer zu hoffen wagt, kann sich überraschen lassen. 

Genug.

Die Zukunft kann in der Gegenwart auftauchen wie eine Gestalt, die wir noch nicht kennen.  

 

4. September 2024, JB

Skeptisch und zuversichtlich bleiben

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Auszug aus dem Artikel Systemische Zuversicht – Wie wir die Herausforderungen unserer Zeit annehmen und gemeinsam zuversichtlich bleiben könn(t)ten. Kontext 53/3, S. 243-254

„Gemeinsam unterwegs

Kein Vorhaben kann ohne Hoffnung gelingen
(Immanuel Kant)

„In Henning Mankells Roman »Der Chronist der Winde« irrt der neunjährige Nelio, dessen Dorf niedergebrannt wurde, im Busch umher und trifft dabei auf den Zwerg Yabu Bata, der dem Jungen erlaubt, sich ihm anzuschließen. Irgendwann sagt der Zwerg: »Jetzt will ich auf deine Frage antworten, wohin ich unterwegs bin. Ich habe geträumt, dass ich mich auf eine Wanderung begeben und einen Pfad suchen soll, der mir das rechte Ziel weist.« »Was für einen Pfad?«, fragt der Junge. »Den Pfad, von dem ich geträumt habe. Der mich zum rechten Weg führen soll. Frag nicht so viel. Wir haben noch weit zu gehen.« »Woher weißt du das?« Yabu Bata sah ihn verwundert an, bevor er antwortete: »Ein Pfad, von dem man geträumt hat und der einen Menschen zum rechten Ziel führen soll, kann nicht in der Nähe liegen«, antwortete er schließlich, »was wichtig ist, ist immer schwer zu finden« (Mankell, 2002, S. 76). 

Was wir die Welt nennen ist die Gesamtheit der Ereignisse und Tatsachen in uns und um uns herum, die wir beobachten und über die wir sprechen[1]. Was nehmen wir auf unserem Weg, in unserer Zeit wahr, worauf richten wir unsere Aufmerksamkeit, worüber sprechen wir, und schließlich: Mit welcher Einstellung, mit welcher Haltung, welcher Vorstellung und Logik sind wir unterwegs?

Eve of destruction[2] versus what a wonderful world[3] – ich glaube nicht, dass es in unserer Lage sinnvoll ist, beide Betrachtungsweisen gegeneinander auszuspielen. Irgendwo dazwischen liegt ein Pfad. Es gibt, wie Hans Rosling (2006) beispielhaft gezeigt hat, global und lokal viele positive Entwicklungen, die zuversichtlich stimmen können. Wir machen auch Fortschritte und darauf können wir aufbauen. Andererseits führt unsere Lebensweise, die Art, wie wir Beziehungen gestalten, zu einer globalen Erschöpfung, die sich auf allen Ebenen zeigt, nicht nur in der uns umgebende Natur, sondern ebenso kulturell, sozial und psychisch in einer Fülle von Symptomen. Alle Daten zusammen zeigen, dass wir ein ernstes Problem haben, wenn wir als Spezies weiterhin einer Logik der Expansion, Dominanz und Steigerung (Rosa, 2016, Bleckwedel, 2022) folgen und damit die Erde unbewohnbar machen. Wir werden unsere Lebensweise und die Logik, die alles bestimmt und durchdringt, grundlegend verändern müssen, wenn menschliches Leben auf unserem Planeten weiterhin möglich sein soll. 

 Betrachten wir die Evolution der menschlichen Spezies systemisch, dann ging es niemals nur um die Frage wer wird überleben, sondern von Beginn an immer auch um die Frage, wie können wir gemeinsam überleben. In diesem Kontext gewinnt die Formel vom „survival of the fittest“ (Darwin, 1871) eine ganz andere Bedeutung als die, die ihr im 20. Jahrhundert durch einen politisch motivierten Sozialdarwinismusund nationalen Chauvinismuszugewiesen wurde. Als Spezies fit zu sein bedeutet heute, zu erkennen, wie wir uns umgebungssensibel innerhalb bestimmter Grenzenentwickeln können, um gemeinsam unter den gegebenen natürlichen Bedingungen auf einem gesunden Planeten[4] zu überleben. Das bedeutet nichts weniger, als dass wir die Art und Weise, wie wir als Spezies Beziehungen gestalten, zu uns selbst, untereinander und zur weiteren Umgebung, grundlegend transformieren müssen.

Die menschliche Spezies entwickelte im Verlauf der Evolution fantastische Fähigkeiten, wir können nicht nur mentale Innenwelten und soziale Beziehungen kreativ gestalten, sondern auch kulturelle, natürliche und technische Umgebungen. Tatsächlich erschaffen wir die Entwicklungsräume, in denen wir uns bewegen, im kommunikativen Miteinander weitgehend selbst (im Rahmen natürlicher Gesetzmäßigkeiten). Doch in dem Moment, in dem alles möglich erscheint, im Anthropozän, in dem die Menschheit Göttern gleich (Harari, 2019) die Rhythmen und Kreisläufe des Lebens auf der Erde bestimmt, zeigt sich ebenso deutlich die dunkle Seite des schöpferischen Potenzials: Die enorme zerstörerische Kraft, die in der permanenten Ausdehnung, Eroberung und Ausschöpfung aller Möglichkeiten steckt, und die sich nun nicht mehr nur allein gegen andere Menschen oder Lebewesen richtet, sondern die Existenz der Spezies und der Biosphäre bedroht. 

Systemisch zuversichtlich zu bleiben, erfordert zunächst zu verstehen, in was für einer Lage wir uns befinden und wie wir dort hingekommen sind, um aus diesem Verstehen heraus nachhaltige Lösungen für die Zukunft zu entwickeln. 

Ungewissheitslage und Orientierungs-Modus 

 Gewissheit bleibt, wie Siri Hustvedt (2018) schreibt, immer eine Illusion, und doch steigt der Grad an Ungewissheit, und damit das „Unbehagen in der Kultur“ (Freud, 1930), gegenwärtig auf ein schwer erträgliches Maß. Historisch gesehen kennzeichnen die Turbulenzen fern vom Gleichgewicht, die wir auf allen Ebenen immer schneller getaktet erleben, den Übergang in ein Zeitalter des globalen Umbruchs, den die Menschheit in dieser Dimension noch nicht erlebt hat. Wir beobachten und erleben nicht nur menschengemachte Erderwärmung, Umeltverwüstung, Artensterben und die Eskalation von Gewalt und Unvernunft.  Die Krise der Ressourcenpflege, die Krise der gerechten Verteilung von Gütern und Lebenschancen, die Krise demokratischer Beteiligung, die Krise der Lebensweise ist nicht zuletzt eine Krise der Sinnschöpfung und der utopischen Vorstellungskraft. Die »großen Erzählungen« des 19ten und 20ten Jahrhunderts erwiesen sich im Praxistest als fatale Irrtümer und wir befinden uns auf einer Odyssee ins Ungewisse. Niemand kann heute sagen, wohin der Wandel führen wird: Die Keime des Neuen sind schon da, aber ob und wie sie sich entfalten werden, in welche Richtung es tatsächlich geht, welche neuen Ordnungen spontan entstehen werden, können wir unmöglich wissen. 

 An Wissen, Zukunftsentwürfen, Lösungsideen und guten Beispielen mangelt es nicht[5], nur kann eben heute niemand vorhersagen, wie sich die große Transformation (Polanyi, 1957, Göpel, 2020), von der nun überall die Rede ist, genau vollziehen, welche Richtung die Menschheit schließlich einschlagen wird. Auf jeden Fall sollten wir uns auf wilde Sprünge, seltsame Loops und herbe Rückschläge einstellen und akzeptieren, dass wir von nun an langfristig in einen Orientierungs-Modus (Stegmaier, 2008, 2020) eintreten, in dem wir nicht nur auf Sicht fahren und im Zustand von Ungewissheit pragmatisch Entscheidungen treffen (müssen), sondern immer auch wieder Innehalten sollten, um uns zu fragen, woran wir uns (eigentlich) orientieren wollen und wohin es gehen soll.   

Wandlungsfähigkeit und Beharrungsvermögen mehr: 

Unsere Ideen machen den Unterschied (Bateson)

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„Die Erklärungswelt der Substanz 
kann keine Unterschiede und keine Ideen 
anführen, sondern nur Kräfte und Einflüsse. 
Und umgekehrt führt die Welt der Form 
und der Kommunikation keine Dinge, Kräfte 
oder Einflüsse an, sondern nur 
Unterschiede und Ideen. Ein Unterschied, 
der einen Unterschied macht, ist eine Idee“ 
(Ökologie des Geistes, Suhrkamp 1981, stw 571, S. 353)

Weltklugheit – unterwegs mit Georg Stefan Troller

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Auslegung der Wirklichkeit – Eine filmische Sternstunde mit Stefan Georg Troller (Ein Film von Ruth Rieser)

Georg Stefan Troller hat in seinem Reporterleben Hunderte Prominente interviewt: von Muhammad Ali über Edith Piaf bis Woody Allen. Zu seinem 100. Geburtstag wird er selbst in einem Film überaus einfühlsam portraitiert von Ruth Rieser. Wie kann man mit Hundert geistig noch so unglaublich wach und präsent sein? Ein Film über das Leben und Überleben, die Liebe, das Unbegreifliche und Naheliegende, über Fragen und Sprechen und Raum geben, über die Verlebendigung des Gefühls im Dialog, über Freude, Verlust und Hoffnung, über Zugehörigkeit, Demut und den Sinn des Lebens – eine Lebensreise, zutiefst geprägt vom Humor und der Weisheit eines hundertjährigen Überlebenden aus Wien. Ein Lehrfilm für Therapeut:innen.

Leider ist der Film in der 3-sat Mediathek nicht mehr verfügbar, dafür:

Ein Gespräch mit Georg Stefan Troller in Paris

 

 

 

 

 

radical hope

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Radikale Hoffnung in Zeiten existenziellen Wandels

Was bedeutet es, radikal zu hoffen? Radikal kann ein Hoffen genannt werden, das sich schonungslos und ohne Tabus den Fakten stellt und sich auf Tatsachen bezieht. Hoffnungsvoll radikal können wir uns bewegen, wenn wir die Ambivalenz der menschlichen Evolution erkennen, wenn wir bewusst eine Richtung einschlagen, die unser zerstörerisches Potenzial transformiert, und wenn wir Räume schaffen, in dem sich unser produktives Potenzial entfalten kann.

Hoffnungsvoll handeln heißt, das zu tun, was aus Sicht der Zukunft sinnvoll wäre. JETZT. Die Geschichte einer realistischen Transformation unserer Zivilisation können wir erfinden, wenn wir losgehen und uns auf das Ungewisse einlassen.

In Henning Mankells Roman »Der Chronist der Winde« irrt der neunjährige Ne-
lio, der seine Familie verloren hat, im Busch umher und trifft dabei auf den Zwerg
Yabu Bata, der dem Jungen erlaubt, sich ihm anzuschließen. Irgendwann sagt der
Zwerg: »Jetzt will ich auf deine Frage antworten, wohin ich unterwegs bin. Ich habe
geträumt, dass ich mich auf eine Wanderung begeben und einen Pfad suchen soll,
der mir das rechte Ziel weist.« »Was für einen Pfad?«, fragt der Junge. »Den Pfad,
von dem ich geträumt habe. Der mich zum rechten Weg führen soll. Frag nicht so
viel. Wir haben noch weit zu gehen.« »Woher weißt du das?« Yabu Bata sah ihn
verwundert an, bevor er antwortete: »Ein Pfad von dem man geträumt hat und der
einen Menschen zum rechten Ziel führen soll, kann nicht in der Nähe liegen«, ant
wortete er schließlich, »was wichtig ist, ist immer schwer zu finden« (Mankell, 2002,
S. 76).

Entwicklungsraum Erde

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Wie können wir die Corona-Krise angemessen verstehen und als Chance nutzen? In einem Beitrag für die SZ verdeutlichen die Wissenschaftler Christoph Rosol, Jürgen Renn und Robert Schlögl die Zusammenhänge zwischen Erderwärmung, Zerstörung der Artenvielfalt und gesundheitlichen Problemen. Wir gestalten die Entwicklungsräume, in denen wir uns bewegen selbst, durch die Art wie wir Beziehungen gestalten, zu uns selbst, zu anderen und zur Umgebung. Wenn es gut geht, entwickelt sich eine ökosystemische Wissenschaft, eine Art zu denken, wie es Gregory Bateson („Ökologie des Geistes“) vorgeführt hat.

Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen im Krisenmodus – Umgang mit Unterschieden

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Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen bilden  einen zusammenhängenden Komplex. In Krisensituationen tritt dieser Komplex in seinem ganzen Facettenreichtum besonders hervor. Wie gehen wir psychologisch angemessen mit den zu Tage tretenden Unterschiedlichkeiten in der Bewältigung und Sinngebung einer unerwartet auftretenden Krise um? Einer Krise, die alle uns bekannten Dimensionen sprengt und einer Fahrt ins Ungewisse gleicht?

Blühende Vielfalt

Vieles scheint jetzt auf den ersten Blick ähnlich, egal wohin man blickt: Quarantäne, soziale Distanzierung, virtuelle Kommunikation. Eine sozial-psychologische Sichtweise zeigt allerdings ein viel bunteres Bild: Wir alle greifen im Krisenmodus zunächst auf bekannte Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen zurück, in denen wir uns heimisch, mit denen wir uns wohl fühlen. Das gilt für jede, jeden einzelne(n), aber auch für diverse Gruppen, Gemeinschaften, Länder und Kulturen. Wir greifen auf das zurück, was uns vertraut ist (Texte, Bilder, Gerichte, Gerüche, Praktiken, Ideen oder etwas, das wir (an)fassen können). Regression im Dienste des Ichs – der eine etwas ängstlicher, die andre etwas lässiger.

Das Phänomen ist menschlich und erwartbar, es bestätigt viele grundlegende Theorie der Psychologie und wird jetzt überall sichtbar: Auf dem Feld der Politik ebenso wie in den Feldern der Wissenschaften, der Kunst und des Alltags. In Zeiten der Ungewissheit tauchen daher Bewältigungsmuster und Sinn- Konstruktionen in gewohnter und gleichzeitig in sehr vielfältiger Form auf – so unterschiedlich, wie Menschen, Gruppen, Gemeinschaften und Kulturen nun einmal sind. Ich selbst schreibe. „Patient zeigt Schreibverhalten“, so habe ich es tatsächlich vor Jahren in einer psychiatrischen Akte gelesen.

Eine Illustration der Vielfalt ist kaum nötig, schon weil jede Liste unvollständig, tendenziös und angesichts der Vielfalt der Erscheinungen ungerecht wäre.

Wie Vielfalt entsteht 

Bei der Hervorbringung von Vielfalt wirken individuelle und kollektive Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen –  kommunikativ gekoppelt – ineinander:

  1. A) Individuelle Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktion sind (a) biografisch und (b) kulturell tief in der Psyche verankert, zudem werden sie durch (c) die Stellung in der Gesellschaften, (d) politische Überzeugungen, (e) besondere Identitätskonstruktionen, (f) persönliche Leidenschaften, (g) Lebensstile und (h) spezifische Echoräume (diskursive Blasen) bestimmt und geformt.
  2. B) Kollektive Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen sind tief im kollektiven Bewusstsein von Gruppen, Gemeinschaften, Ländern und Kulturen verankert; einem (jeweils spezifischen) gemeinsam geteilten Hintergrund aus geteilten Praktiken und Kommunikationen, Ideen, Werten, Normen, Standards und Glaubensätzen ( vgl. die Theorie des Common GroundHerbert H. ClarkEdward F. Schaefer, 1989).

Aus der jeweils besonderen Kombination und Variation von A) und B) entwickelt sich in einem fehlerfreundlichen Prozess eine bunte Vielfalt von Bewältigungsmustern und Sinn-Konstruktionen (mündliche Erzählungen, Blogs, Videos, Zeitungen, die Literatur sind voll davon).

Aufmerksamkeit für Achtsamkeit und gegenseitigen Respekt 

In Situationen, in denen gemeinsames und einheitliches Handeln, wo Solidarität besonders gefordert ist, und gleichzeitig Vielfalt blüht, sind Konflikte vorprogrammiert. Deshalb scheint es in Krisenzeiten intelligent und nützlich, besonders achtsam und respektvoll mit unterschiedlichen Bewältigungsmustern und Sinn-Konstruktionen umzugehen. Denn in diesen Dingen ist der Homo Sapiens (also wir alle) besonders empfindlich. Einmal tiefer gekränkt greifen wir verbal oder konkret schnell zur Keule – und, das wissen wir aus vielen Experimenten, je größer die Distanz und Anonymität, desto gnadenloser wird zugeschlagen.

Wir müssen also tun, was leicht gesagt aber nicht so einfach zu machen ist.

Ein gelassener und respektvoller Umgang miteinander wäre – besonders in Bezug auf unterschiedliche Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen –  hilfreich, um Solidarität und gemeinsames Handeln zu ermöglichen. Das gilt besonders für jene Phasen, die nach dem ersten Erschrecken und Innehalten kommen, wenn Handlungsdruck, Unsicherheit, Angst und Aggression ansteigen.

Wenn es gut läuft, lernen wir, sehr genau nachzufragen und einander achtsam zuzuhören, ohne das Gefühl zu haben, unsere eigenen Ideen dabei zu verlieren oder zwangsweise aufgeben zu müssen (Transhumane und transkulturelle Kompetenz). Aus der Mitte solcher dialogischer Verhandlungsprozesse kann, wenn es gut geht, Kreatives, gar Innovatives entstehen (ganz nebenbei entwickeln sich dabei Ich-Stärke und Einfühlungsvermögen).

Fehlerfreundlichkeit und Konfliktbereitschaft

Fehler und Irrtümer werden in dem Lernprozess, in den wir jetzt gemeinsam, ungewollt und auf unbestimmte Dauer, eintreten, an der Tagesordnung sein. Wohl denen, die sich selbst und anderen Fehler und Irrtümer eingestehen und zugestehen können.

Angesichts komplexer Herausforderungen – und den damit verbundenen Dilemmata – kann es zu harten und intensiven Konflikten kommen; dann wird es darauf ankommen, Probleme offen anzusprechen und Konflikte offen auszutragen (ohne immer gleich beleidigt zu sein oder als Sieger vom Platz gehen zu wollen). Ungewissheit muss ausgehalten und schwierige Situationen durchgehalten werden, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

In jedem Fall sollten die Fakten im Blick bleiben und zählen. Zensur oder gefälschte Fakten sind im Kampf gegen Viren ebenso kontraproduktiv wie Impulsdurchbrüche oder Verleugnung.

Nicht immer wird unter hohem Entscheidungsdruck ein Konsens gefunden werden können. Unterschiedliche Strategien, Konzepte und Meinungen werden aufeinanderprallen – und doch muss im Zweifelsfall zeitnah entschieden werden, wie das Abenteuer jeweils weitergehen soll. Oft ist es klug und angemessen, verschiedene Optionen gleichzeitig zu verfolgen, andererseits müssen klare Entscheidungen getroffen werden. Think global, act local ist im Krisenmodus ebenfalls ein gutes Konzept.

Die reale Welt ist weder ideal noch gerecht, aber wir können versuchen, gemeinsam in jeder Situation  unterschiedliche Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen zu berücksichtigen. Im besten Fall bewahren wir dabei fachliche und ethische Regeln, Standards und Werte, die wir für sinnvoll halten und an die wir glauben.

(Dieser Beitrag wurde motiviert durch eine Bemerkung über „Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen im Krisenmodus“ in einer E-Mail von Prof.Dr. Jürgen Armbruster)

[1] Z.B. Georg Kreissler, Lied über den Herrn Meyer mit seinem Hund:https://www.youtube.com/watch?v=rUZLTgmbpq0

[2] Und das sind wir nun Alle: Homo Sapiens, andere Menschenarten gibt es nicht mehr.

[3] Wer im Internet Videos mit diesem Zungenschlag sieht, sollte vorsichtig sein, es könnte sich um den russischen Geheimdienst handeln.

Sinn ist nicht vorgegeben, Sinn entsteht durch Kommunikation

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Was ist der Sinn des Lebens? Die Frage ist ziemlich groß, und kann sehr unterschiedlich beantwortet werden. In großen Entwürfen, auf der Suche nach absoluten Wahrheiten, lauert Gefahr! Für den Hausgebrauch des Pragmatikers reicht es aus, sich die Frage zu stellen, welchen Sinn, welche Bedeutung, wir  einer Situation jetzt geben wollen – nachdem bestimmte Ereignisse, aus welchen Gründen auch immer, zu der Situation geführt haben. Sinn entsteht, indem Menschen, miteinander sprechend, Sinn verleihen.   

 

Akzeptiere deine Gefühle und gib der Situation eine Bedeutung (Kübler-Ross plus)

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Elisabeth Kübler-Ross unterscheidet fünf Reaktionsweisen auf Ereignisse, die plötzlich unser Leben verändern (Tod eines nahen Menschen, eine Katastrophe): VerleugnungWutVerhandelnTrauer – und schließlich Akzeptanz. Der Psychologe David Kessler, Co-Autor von Übler-Ross und Forscher in Harvard, fügt diesen fünf Reaktionsweisen eine sechste hinzu: Sinn und Bedeutung. Das können wir, behutsam, schon jetzt, und immer mal wieder, tun: den Ereignissen einen Sinn zuweisen, und eine Prise Hoffnung hinzugeben.

 

Hier geht es zu einem Interview von Scott Berinato (Harvard Business Review) mit David Kessler zur aktuellen Situation – auf Englisch, aber gut verständlich und auf den Punkt:

 

Es gibt immer eine andere Geschichte

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Oft werden Menschen, die Opfer von Gewalt wurden, auf die Erfahrung des Gewaltaktes reduziert, was, genau wie der gewaltsame Akt selbst, dazu führen kann, eine Person oder eine Gruppe von Personen im traumatischen Erleben festzuhalten.  Das kommt einer erneuten Misshandlung oder Missachtung gleich. Es gibt immer eine andere Geschichte, einen anderen Zustand, vorher und auch danach.

Wenn die Himmel einstürzen

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Unser Zeitalter ist seinem Wesen nach ein tragisches, also weigern wir uns, es tragisch zu nehmen. Die Katastrophe hat sich ereignet, wir stehen zwischen den Ruinen, wir beginnen, uns neue, kleine Behausungen aufzubauen und neue, kleine Hoffnungen zu hegen. Das ist harte Arbeit. Es gibt keinen ebenen Weg in die Zukunft, aber wir umgehen die Hindernisse oder klettern über sie hinweg. Wir müssen leben, ganz gleich, wie viele Himmel eingestürzt sind.

(D.H. Lawrence, Lady Chatterleys Liebhaber)

Hoffnung und Mitgefühl (Luise Reddemann)

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…. Ich bin der Meinung, und fand dies bei Benedetti bestätigt, dass wir nur dann Hoffnung in unseren Patientinnen und Patienten nähren können, wenn es uns gelingt, mitfühlend zu sein. Dann spüren wir die Not unserer Patienten und den Wunsch in uns, in irgendeiner Form etwas zu ermöglichen, was sie ein wenig auf Linderung, Besserung oder auch Heilung hoffen lässt, sie zumindest für möglich zu halten. Was ist Mitgefühl? Jedenfalls nicht Empathie. Empathie ist Einfühlung, Mitgefühl beinhaltet den Wunsch, etwas Heilsames zu bewirken.

(Luise Reddemann, Hoffnung und Mitgefühl, Leitfaden, Heft 1/2017, S. 70)