Melancholie und Furcht – 50 Jahre Kulturrevolution

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Melancholie und Furcht – 50 Jahre Kulturrevolution

IMG_2555 50 Jahre Kulturrevolution – ein Anlass zum Innehalten und Nachdenken

Am 16. Mai 1966, Heute vor 50 Jahren, begann in China die Kulturrevolution. Ein  utopisches Experiment, das nichts weniger als die Geburt eines neuen Menschen und einer neuen Gesellschaft zum Ziel hatte. Was lernen wir?

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Hintergrund “ Der große Sprung nach vorne“ (1958-1961) fĂŒhrte in ein ökonomisches Desaster und eine humanitĂ€re Katastrophe (geschĂ€tzte 30-40 Millionen Opfer). Die Kampagne musste vorzeitig abgebrochen werden. Das Land lag am Boden. In der KP gewannen Reformer zunehmend an Einfluss. Mao Tse Tung, mythenumrankter Vorsitzender, Liebling der Massen und Vertreter einer radikalen Gesellschaftsutopie sah seine Macht bedroht. In dieser Situation erfand Mao eine neue Kampagne – inspiriert von der Idee der permanenten Revolution. Die Kulturrevolution.

Idee/Strategie/Mittel. Die Kulturrevolution: Eine Revolution neuen Typs mit dem Ziel, die Mitte der Gesellschaft zu zerstören und den Überbau zu revolutionieren, angeordnet und angetrieben von ganz oben (Mao), weitgehend selbstorganisiert ausgefĂŒhrt von einer entfesselten Jugend. Damit verfolgte der alte KĂ€mpfer Mao zwei Ziele: a) Die Verwirklichung seiner radikalen Gesellschaftsutopie (plus dickem Eintrag ins Geschichtsbuch) b) die Ausschaltung seiner innerparteilichen Rivalen und ehemaligen MitkĂ€mpfer. Eine strategische Meisterleistung, ein Plan irgendwo zwischen genial und diabolisch.

China-Kulturrevolution-Propaganda-PlakatIn der Wahl seiner Mittel hatte Mao nie Skrupel gezeigt. Devise: der Zweck heiligt die Mittel. Jetzt setzte er seinen ganzen Nimbus, seine AutoritĂ€t und seine Beliebtheit bedenkenlos ein. Sagenhafter AnfĂŒhrer des „Langen Marsches“, siegreicher Feldherr im Kampf gegen den westlichen Kolonialismus, Bezwinger des brutalen japanischen Imperialismus, Sieger im BĂŒrgerkrieg gegen die Kuomintang.

Der Vorsitzende Mao war der gottgleiche  Bauernsohn, der am 1. Oktober 1949 mit der Proklamation der Volksrepublik China ein „Jahrhundert der Schande“ beendet und dem Land, nach all den DemĂŒtigungen, seinen Stolz und seine WĂŒrde zurĂŒck gegeben hatte. Auf dem Fundament eines beispiellosen Personenkults entfachte die Gruppe um Mao einen befreiungstheologisch inspirierten Propagandasturm – Rebellion ist gerechtfertigt, Bombardiert das Hauptquartier – der die „Roten Garden“ (Kinder, SchĂŒler, Studenten) in ihrem Furor gegen die „Machthaber und AutoritĂ€ten auf dem falschen Weg“ nach vorne peitschte.

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Eigentlich undenkbar in einer konfuzianisch geprĂ€gten Kultur, deren höchster Wert der Respekt vor den Eltern und allen AutoritĂ€ten darstellt. Und offenbar doch möglich. Wenn der Befehl von ganz oben kommt, von einem gottgleichen neuen Mandarin. Und wenn es einer gewissenlosen, ideologisch aufs Absolutezielenden Propaganda gelingt, die vermeintlichen Gegner der paradiesischen Erneuerung  als Erzfeinde zu dĂ€monisieren. Eine Umwertung aller Werte (Nitsche), kalt geplant und kĂŒhn umgesetzt in einem „revolutionĂ€ren Akt“.

Verlauf. Offiziell gestartet als Rebellion der Massen gegen eine neue, bĂŒrokratische UnterdrĂŒckerkaste entwickelte sich die Kulturrevolution schnell zu einer irrsinnigen und wahnwitzigen Hetzjagd, zum jakobinischen Exzess.

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Das Land versank in einem albtraumhaften, allgegenwĂ€rtigen Terreur, der erst 1976 mit dem Tod Maos endete. Die Kulturrevolution, anfangs ein euphorisierendes Abenteuer, ein Rausch, grĂ¶ĂŸer als jeder Tripp, den ein Joint je hervorbringen könnte, endete in einem monströsen Kater. Zehn Jahre Kulturrevolution hinterließen ein desillusioniertes, kollektiv traumarisiertes Land am Abgrund. Eine Nation, seiner Moral beraubt und bis auf die Wurzeln der Existenz verunsichert in seinem Empfinden fĂŒr Werte. Ein Land voller Paranoia und Misstrauen. Eine Bevölkerung, die im chaotischen Terror der  Kulturrevolution den Glauben an sich selbst und die Möglichkeit einer geistig-moralischen Erneuerung verloren hatte. Wie könnte es nach dieser Erfahrung anders gewesen sein? Menschen mit zerstörten Seelen, die möglichst schnell vergessen wollten.

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Welche Bedeutung hat die Kulturrevolution Heute fĂŒr das Land? Dieser Frage geht Kai Strittmatter, langjĂ€hriger Korrespondent der SZ in Peking, in einem kundigen und kunstvollen Essay nach. Besser kann man es nicht sagen:

Von Kai Strittmatter

Das große Misstrauen

Vor 50 Jahren riss der machtbewusste Mao mit seiner Kulturrevolution sein Land in den Abgrund. An den Folgen leidet die chinesische Gesellschaft bis heute.

Unvergessliche Zeiten seien das fĂŒr sie gewesen, unvergesslich schön. Sagt die eine Freundin, die in den Pekinger Filmstudios aufwuchs, dem Arbeitsplatz von Vater und Mutter. Die Eltern steckten bis nachts bei Kritik- und Kampfsitzungen. Die kleinen Kinder derweil: allein. Frei. Durchstreiften die Studios, welche die Arbeit eingestellt hatten. Versteckten sich. Fanden sich. Schlugen sich. Vertrugen sich. Spielten. Ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre. „Wir hatten eine grenzenlose Freiheit.“ Oder der andere Freund, den der Vater als SechsjĂ€hrigen zur Großmutter brachte, in Sicherheit. Aufs Dorf, fĂŒr die schlimmsten Jahre. Angekohlte SĂŒĂŸkartoffeln, die Hosen voller Matsch, den Kopf voller Blödsinn. Seine Augen leuchten. „Es war ein einziges Abenteuer.“

Gute Erinnerungen an die Kulturrevolution und an Mao Zedong pflegen auch andere. Dann allerdings weniger von Unschuld durchdrungen denn mit Ignoranz und Blindheit geschlagen. Die Unternehmer in Henan, die Anfang dieses Jahres eine 36 Meter hohe Mao-Statue aufs Feld stellten, ganz in Gold. Die chinesischen Touristen, die sich in New York vors Hauptquartier der Vereinten Nationen stellten und gut gelaunt im Chor „rote Lieder“ sangen: „Der Sozialismus ist gut. Die ReaktionĂ€re werden gestĂŒrzt.“ Die Studenten in Harbin, die sich fĂŒr ihre Abschlussfeier zum Spaß als Rotgardisten verkleideten und die DemĂŒtigung von Klassenfeinden nachstellten. Klar: jahrelang schulfrei, kostenlos Zug fahren, ungestraft korrupte Beamte verprĂŒgeln, das hatte was. Oder?

Es war dies aber die Zeit, in der SchĂŒlerinnen ihre Direktorin totschlugen, in der Studenten ihre Professoren ersĂ€uften, in der EhemĂ€nner ihre Frauen ins Arbeitslager schickten und Söhne ihre MĂŒtter aufs Schafott. Manche Klassenfeinde wurden lebendig begraben, andere geköpft und gesteinigt, in der Provinz Guangxi wurden mehreren Dutzend „Feinden“ Mao Zedongs Herz und Leber herausgerissen und verspeist. Man kann solche Dinge nachlesen, zum Beispiel in den BĂŒchern „Die alte Welt zerschmettern“ des Historikers Bu Weihua und „Scarlet Memorial“ (Scharlachrotes Gedenken) des Journalisten Zheng Yi. Das heißt, nein: Man kann das in China nicht nachlesen, denn diese BĂŒcher sind dort verboten.

Die Kommunistische Partei vergisst gerne. Noch lieber lĂ€sst sie vergessen. Mit dem Tiananmen-Massaker vom Juni 1989 hat das prima funktioniert. Mit dem Großen Sprung nach Vorne (1958 bis 1961, zwischen 30 und 40 Millionen Tote) sowieso. Mit der Kulturrevolution – im Parteisprech die „zehn Jahre Chaos“ – ist das ein wenig komplizierter. Weil sie alle mitgemacht haben, die heute ĂŒber 55 oder 60 Jahre alt sind. „Lauf durch die Stadt, geh in die Parks, wo die Älteren tanzen und schau dir ihre Gesichter genau an“, sagt ein Freund. „Ein jeder war dabei.“ Als Opfer. Als TĂ€ter. Viele waren beides. Xi Jinping ist der erste KP-Chef und StaatsprĂ€sident aus der Generation derer, die von Mao Zedong auserkoren waren, das Land ins Paradies zu fĂŒhren. Und die es dann in Inferno und Barbarei stĂŒrzten. Die Opfer, die TĂ€ter, sie sitzen heute an den Schaltstellen der Macht, in Politik und Wirtschaft. Die Zeit hat sie geprĂ€gt, und egal auf welcher Seite sie standen: Sie fĂŒrchten die alten Geister.

Ein halbes Jahrhundert ist das nun her. Am 16. Mai 1966 gab Mao Zedong den Startschuss fĂŒr diese Eruption von Idealismus und Gewalt, von religiösem Eifer und Sadismus. Aber 50 Jahre sind nicht lang. Eine Million Tote. Eine Volkswirtschaft in Ruinen. Ein Volk, dem das RĂŒckgrat gebrochen wurde. Oder nein: das sich selbst das RĂŒckgrat gebrochen hat. Bis heute hat sich China nicht erholt von der Kulturrevolution. Sie mag ein diabolischer Schachzug Mao Zedongs gewesen sein, den seine Rivalen nach dem Irrsinn des Großen Sprungs zur Seite gedrĂ€ngt hatten. Mit Hilfe der Kinder holte er sich die Macht zurĂŒck. „Bombardiert die Hauptquartiere“, befahl er ihnen. Er rief sie zum Sturm auf die AutoritĂ€ten. Die Jugend horchte, jubelte, verfiel in Raserei. Ja, Mao hatte die Meute losgelassen. Aber keiner zwang sie, die Tempel zu schleifen, die BĂŒcher zu verbrennen, den Nachbarn zu denunzieren, die Lehrerin mit Kot und Blut zu beschmieren, den Professor zum Sprung aus dem Fenster zu treiben. Sie taten es einfach. Im Namen hehrer Ideale, aus dunkelsten Motiven.

Chinas Gesellschaft heute ist keine gesunde. Das hat einiges mit den Herrschaftsmechanismen der KP zu tun. Und wesentlich mit der Kulturrevolution. Kleine Umfrage unter Bekannten. Der Ökonom: „Die Kulturrevolution steckt uns in den Knochen. Wenn hier keiner irgendeine Regel einhĂ€lt; wenn die Leute bereit sind, einander wegen kleinster Streitigkeiten an die Gurgel zu gehen, das hat mit damals zu tun.“ Die Lehrerin: „Das Sich-dumm-Stellen. Das ewige ‚Ich weiß es nicht. Ich erinnere mich nicht. Ich sage nichts.’“ Der Maler, der damals ebenfalls Kind war: „Wir Chinesen haben kein Immunsystem mehr. Das Problem ist nicht, dass uns die eine oder andere Krankheit befĂ€llt. Das Problem ist, dass unser ganzes Immunsystem kollabiert ist und wir als Gesellschaft seither gegen jede Art von Krankheit machtlos sind.“ Er zĂ€hlt auf: die materielle Gier, die Tatsache, dass Werte nichts mehr zĂ€hlen, dass Empathie und Mitleid fehlen – „all das hat seine Wurzeln auch in der Katastrophe damals.“ Drei Klagen, die man in China wieder und wieder hört: Wir fĂŒhlen uns unsicher. Es gibt keine Moral. Es gibt kein Vertrauen. Das vor allem. 2013 veröffentlichte die Akademie der Sozialwissenschaften in Peking ein Blaubuch ĂŒber die „Seelische Verfassung der chinesischen Gesellschaft“, und stellte den kompletten Vertrauensverlust fest. „Keiner vertraut in China keinem“, sagte damals Wang Junxiu, einer der Autoren. Die Studie macht Faktoren wie die schnelle Urbanisierung mitverantwortlich, aber im GesprĂ€ch verwies Wang bald auf die Kulturrevolution: Nie habe mehr Misstrauen unter den Chinesen geherrscht. „Aber wissen Sie was?“, sagt er dann: „Gleichzeitig war das Vertrauen in die ParteifĂŒhrung nie höher als damals.“ Es war mehr als Vertrauen, es war der blinde Glaube an den Messias Mao.

Seit einiger Zeit wittern die Neo-Marxisten Morgenluft, sie beschwören die gute alte Zeit.
Sie haben einander damals ĂŒber Jahre hinweg gedemĂŒtigt, verraten, misshandelt, getötet. Kinder ihre Eltern. Eheleute einander. Der eine Kollege den anderen. Kollektive Traumata, die Forschung hat das an Holocaust- und KriegsĂŒberlebenden studiert, werden ĂŒber Generationen weitergegeben. Und nein, sie sollen sich nicht darĂŒber austauschen, sie sollen sich nicht erinnern. Die Partei gibt nicht nur die Marsch-, sondern auch die Blickrichtung vor: starr nach vorne. Die Partei hat sich neu erfunden als Mutter der „harmonischen Gesellschaft“. Parteichef Xi Jinping verlangt „positive Energie“ von Chinas Intellektuellen, KĂŒnstlern, Kadern, Journalisten und BĂŒrgern. Doch, es gab schon in den 1980ern Memoiren und Romane, die das persönliche Leid Einzelner thematisierten, aber die Frage nach den Wurzeln der Katastrophe war immer tabu. Die Archive sind bis heute geschlossen.

Was die Deutschen und andere Völker VergangenheitsbewĂ€ltigung nennen, heißt im China der KP „historischer Nihilismus“ und ist eine der sieben TodsĂŒnden. Erinnern ist subversiv. Man kann das schon machen, den Schmerz, die Scham und die Schuld begraben unter Schweigen und Vergessen, unter Konsum und Gier, aber dass die Wunde da unten weiter schwĂ€rt, dass Eiter und Gift durch die Ritzen nach oben kriechen, das wird man nicht verhindern.

Zu 70 Prozent sei Mao gut gewesen, war das offizielle Urteil der Partei unmittelbar nach Maos Tod, und zu 30 Prozent schlecht. Xi Jinping, der Parteichef, machte gleich nach seinem Amtsantritt klar, dass er das Volk nicht an die dunklen 30 Prozent Maos erinnert haben wollte. Xi spielt eine merkwĂŒrdige Rolle. Seine Familie gehörte, das ist gut dokumentiert, zu den Opfern des Wahnsinns. Der Vater, einst Revolutionskamerad von Mao, wurde mehrfach durch die Straßen getrieben und verprĂŒgelt. Eine Halbschwester in den Selbstmord getrieben. Xi Jinping selbst von Rotgardisten als Abkömmling der korrupten Parteielite auf die BĂŒhne gezerrt, öffentlich von der eigenen Mutter denunziert und spĂ€ter fĂŒr Jahre aufs Land geschickt. Er hĂ€tte allen Grund, Mao zu zĂŒrnen. Und doch hĂ€lt er ihn hoch als Schutzpatron der Partei und des Landes. Nein, Xi ist kein Maoist, und der Geist der Anarchie, der den ewigen RevolutionĂ€r Mao aufblĂŒhen ließ, ist ihm ein Graus. Aber kein ParteifĂŒhrer vor Xi hat so viele rhetorische Anleihen bei Mao genommen. Und keiner bediente sich so ungeniert bei Instrumenten und Methoden, die Mao perfektioniert hatte: Xi brachte das aus der Kulturrevolution bekannte Instrument des öffentlichen Prangers fĂŒr Andersdenkende zurĂŒck, samt gestammelter Reue und Selbstkritik – in weit potenterer Form: Damals war die BĂŒhne ein öffentlicher Platz, eine Straße, heute ist es der Staatssender CCTV, so wohnen heute Hunderte Millionen den DemĂŒtigungen bei. Zuletzt belebte die Partei das Spitzelsystem an Schulen und UniversitĂ€ten wieder: Die Denunziation von Kollegen wird wieder belohnt in China.

So wittern seit einiger Zeit die Neo-Maoisten Morgenluft, jene Unverbesserlichen am linken Rand der KP, welche die gute alte Zeit beschwören. War es nicht die Zeit, in der alle noch sauber und rein waren – und gleich vor allem? In der die Partei noch nicht von Korruption zerfressen, und China noch nicht eines der ungleichsten LĂ€nder der Welt war? Manche besitzen gar den Nerv, die Kulturrevolution zu feiern, wie jene Gruppe von Linken, die diese Woche in Xi’an bitter die Reform- und Öffnungspolitik der letzten 30 Jahre beklagten, welche China wieder „zu einem Abenteuerspielplatz fĂŒr Imperialismus und Kapitalismus“ gemacht habe. Auf der anderen Seite aber gibt es auch die Menschen, die ihre Schuld drĂŒckt, die den Landsleuten, den Jungen vor allem, das Erlittene zurufen wollen, und die entsetzt mit ansehen, wie alte, lĂ€ngst begraben geglaubte Gespenster wieder ihre Köpfe erheben, wie einige wieder Mao vergöttern und zur Hatz auf Andersdenkende blasen.

Menschen wie Zhang Hongbing sind das, ein Rechtsanwalt in Anhui, der als 16-JĂ€hriger seine Mutter dem Henker auslieferte, weil sie beim Abendessen Mao kritisiert hatte. „Die Geschichte zu vergessen ist Verrat“, sagte er der SZ einmal. Er ist selbst Parteimitglied, aber er attackiert das Erziehungssystem: „Warum verstehen die Söhne und Töchter des chinesischen Volkes so wenig, warum verwandeln sie sich immer wieder in Wolfskinder?“ sagte Zhang. „Weil die Partei die Gehirne wĂ€scht. Weil sie sich Untertanen heranzieht, Gehorsame, Sklaven.“ Menschen wie die vier alten Damen, die der SZ 2014 erzĂ€hlt hatten, wie sie als Rotgardistinnen einst die Folter und den Mord an ihrer Schuldirektorin erlebt hatten. „Es ist unsere Pflicht zu sprechen“, sagte die JĂŒngste, heute Juraprofessorin. „Die Jungen wissen nichts ĂŒber diese Zeit. Wir mĂŒssen uns der Geschichte stellen. Wir mĂŒssen nachdenken, darĂŒber, wie wir uns in blinde Fanatiker verwandeln konnten, nachdenken ĂŒber das System. Sonst kann sich Ă€hnlich Schreckliches wiederholen.“ Menschen wie die Bloggerin Yu Xiangzhen, die als ĂŒber 60-JĂ€hrige beschlossen hat, das damals Erlebte aufzuschreiben. „Damit ich das nicht mit ins Grab nehme.“ Menschen wie Yu Youjin, einst BĂŒrgermeister von Shenzhen, der im Ruhestand nun noch einmal als Professor vor Studenten tritt, und in seiner ersten Vorlesung die Kulturrevolution anging.

Sie sind einsame KĂ€mpfer. Die Parteipresse schweigt sie gemeinhin tot, und wenn die Gesellschaft sie nicht ignoriert, dann werden sie oft angefeindet: im Netz, von den eigenen Klassenkameraden. Aber etwas treibt sie. Das Erlittene. Die Schuld. Eine Ahnung. „Der Geist der Kulturrevolution, er ist noch unter uns“, sagt Zhang Hongbing. „Der Boden ist noch fruchtbar“, sagt Professor Yu. Und es ist das erzwungene Vergessen, das ihn nĂ€hrt.

Ausblick

Die FĂŒhrung der KP tut bis Heute Vieles, um das Vergessen zu ermöglichen. Die Partei fĂŒrchtet die Auseinandersetzung mit den Schrecken der Vergangenheit. Sie fĂŒrchtet sich vor sich selbst und dem Volk. Wahrscheinlich glaubt sie, durch Kritik die Macht zu verlieren. Die Furcht sitzt tief. Sie ist eine Folge des nicht bearbeiteten Traumas der Kulturrevolution. Traumatisierte fĂŒrchten Flash Backs, sie vermeiden Situationen, die alte Ängste, alte Muster triggern könnten.

Das Perteiblatt Global Times erklĂ€rt die offizielle Linie so: „Reflexion und Diskussion, wie manche sich das wĂŒnschten“ wĂŒrden den „politischen Konsens“ in Gefahr bringen und könnten „eine Turbulenz der Ideen“ auslösen (SZ vom 9.Mai 2016, S. 1). Also Deckel drauf, lieber nicht hinschauen.IMG_2536

Die Kulturrevolution, die doch den MUT zur permanenten Auseinandersetzung begrĂŒnden sollte, fraß am Schluss nicht nur ihre Akteure, sondern auch Zuversicht und Hoffnung. Sie hinterließ, in einer dialektischen Wendung, vor allem Furcht. Die Furcht vor der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die Furcht vor einer Auseinandersetzungen, die das Land erneut ins Chaos stĂŒrzen könnte.

2012, das erste mal in China, notiere ich in mein Tagebuch: Immer ist sie im Untergrund prĂ€sent, aber nur manchmal, am Rande, berĂŒhren wir sie direkt. Die Kulturrevolution. Dann werden die Augen der chinesischen Kollegen dunkel, die Stimmen senken sich. Die Scham ĂŒber den Wahnsinn, die Grausamkeiten, die Exzesse, steigt auf, wie Morgennebel. Mit ihr das nackte Entsetzen, kalt und ernst, aber fest verpackt. Das seien schlimme Zeiten gewesen sagen sie, verrĂŒckt
.

Ohne Öffnung, ohne Auseinandersetzung, bleibt das Erschrecken eingegraben und wĂŒhlt im Untergrund. Das Erschrecken ĂŒber sich selbst und die Anderen: die entfesselten Grausamkeiten und brutalen DemĂŒtigungen ohne jeden Sinn und Verstand, GefĂŒhle der Schuld und der Scham darĂŒber, was möglich ist, wenn eine gewissenlose Propaganda unsere GefĂŒhle missbraucht und zu Taten treibt, in denen wir uns selbst – aus dem Gewaltrausch erwacht – nicht wiedererkennen. Ein kollektives Trauma, das die Deutschen gut kennen.

50 Jahre nach dem Beginn der Kulturrevolution – wĂ€re das nicht ein guter Zeitpunkt, auch offiziell behutsam die Bearbeitung des kollektiven Traumas anzugehen? KĂŒnstler weisen den Weg. Die Menschen sind bereit dazu, auch wenn es schmerzt. Nur wer sich den Schrecken der Vergangenheit stellt und sie versteht, kann eine bessere Zukunft gewinnen.

Doch das ist leichter gesagt als getan. Die Menschen in China sind nicht nur mit einem Grad von Druck, WidersprĂŒchen, Geschwindigkeit und KomplexitĂ€t konfrontiert, den EuropĂ€er schwer nachvollziehen und begreifen können. Sie stehen auch vor einem echten Dilemma.

Wie sagte es Mao am Beginn der „großen proletarischen Kulturrevolution“:  Mit Chaos auf Erden erreicht man große Ordnung im Land! Die gegenwĂ€rtige große Ordnung ging ohne einen Prozess der politischen Kritik – die wurde am Tiananmen 1989 niederkartĂ€tscht – direkt aus der Kulturrevolution hervor. Eine Herrschaftsform ohne unabhĂ€ngige Justiz und Presse, beherrscht und durchzogen von Korruption, Nepotismus und WillkĂŒr, zusammengehalten von der Zensur und einem mĂ€chtigen Sicherheitsapparat.

Es ist diese große Ordnung, die von der neuen FĂŒhrung unter Parteichef Xi Jinping als „harmonische Gesellschaft mit positiver Energie“ propagiert und eingefordert wird. In dieser rĂŒckwĂ€rtsgewannten, konfuzianischen Ordnung (Harmonie ist Ordnung, Ordnung ist Harmonie) gibt es kaum Platz fĂŒr ein öffentliches, kritisches Erinnern. Störung der Ordnung! Turbulenzen unerwĂŒnscht! Furcht isst Mut auf.

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So gesehen schließt sich der Kreis auf tragische, fast absurde Weise. Die Idee der permanenten Kritik bringt, in der konkret praktizierten kulturrevolutionĂ€ren Form,
eine im Ritual erstarrte konfuzianische Ordnung neuen Typs hervor. Die Geschichte schlÀgt ironische, zuweilen zynische Volten.

Die Menschen spĂŒren die Erstarrung dieser Ordnung, das LĂ€hmende in der atemberaubenden ökonomischen Turbo-Entwicklung, den Stillstand des Politischen.  Intuitiv „wissen“ sie – bei Hegel, Adorno und allen chinesischen Dialektikern – um den grandiosen und fatalen Irrtum. Auf die Dauer kann das nicht gut gehen. Chaos und Ordnung stehen nicht gegeneinander, sie wirken in allen Prozessen des Lebendigen zusammen, gehen auseinander hervor. Ruhe und Unruhe, Harmonien und Disharmonien bestimmen den Gang der Zivilisation und unser Zusammenleben, solange wir denken können.

Wer den Stillstand einer bestehenden Ordnung predigt wird den Sturm der Disharmonie ernten. Wer Harmonie will, darf sich vor Auseinandersetzungen, vor Turbulenzen, nicht fĂŒrchten. Andererseits, niemand wĂŒnscht sich eine erneute Kulturrevolution! Ein Dilemma, das vielleicht nur Chinesen, die Meister der AmbiguitĂ€tstolleranz, lösen können. Die Welt darf gespannt sein auf Lösungen, die neue Generationen finden werden.

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P.S. Lesson learned?!

Radikale Gesellschaftliche Utopien, die aufs Absolute zielen (Paradies auf Erden) sind brandgefÀhrlich.

Die Wahl der Mittel bestimmt das Ergebnis.

Wer zur Durchsetzung von Zielen (seine) Werte missachtet sÀt Misstrauen und erntet    Furcht.

Wer bei der Durchsetzung von Zielen (seine) Werte achtet, gewinnt Vertrauen und erntet Zuversicht.

„Erst wenn ein System lernt, aus der Geschichte zu lernen, wird es zukunftsfĂ€hig. Den Grad der Geschichtlichkeit in einem System kann man auch beschreiben als das VerhĂ€ltnis von VerdrĂ€ngtem zu Durchgearbeitetem: das Durchgearbeitete drĂ€ngt zu Verwandlungen, zu Spiralen – etwas, das trĂ€gt und federt-, die VerdrĂ€ngung fĂŒhrt zu Wiederholungen, zu konzentrischen Kreisen – etwas, das einengt und abstumpft(Theweleit, 1990, S. 14).“ (Bleckwedel. 2008, S. 53)

Zeitbezug

Entwicklungsraum Erde

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Wie können wir die Corona-Krise angemessen verstehen und als Chance nutzen? In einem Beitrag fĂŒr die SZ verdeutlichen die Wissenschaftler Christoph Rosol, JĂŒrgen Renn und Robert Schlögl die ZusammenhĂ€nge zwischen ErderwĂ€rmung, Zerstörung der Artenvielfalt und gesundheitlichen Problemen. Wir gestalten die EntwicklungsrĂ€ume, in denen wir uns bewegen selbst, durch die Art wie wir Beziehungen gestalten, zu uns selbst, zu anderen und zur Umgebung. Wenn es gut geht, entwickelt sich eine ökosystemische Wissenschaft, eine Art zu denken, wie es Gregory Bateson (“Ökologie des Geistes”) vorgefĂŒhrt hat.

Sinnlich erlebte Wirklichkeit

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Über Leben in Auschwitz (SZ.de vom 24. Januar 2020)

Ein bemerkenswerter Essay des Historikers Nikolaus Wachsmann ĂŒber die Wirklichkeit des Lagerlebens, 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Das ist auch theoretisch bemerkenswert: Die konkrete Beschreibung der sinnlich erlebten Erfahrung fĂŒhrt alle postmodernen Versuche, Wirklichkeiten im UngefĂ€hren und Beliebigen aufzulösen, ad Absurdum. Sicher, wir können die Wirklichkeit nur subjektiv erfassen, daher es gibt viele “Wahrheiten” und Interpretationen von Wirklichkeiten. Aber die konkreten ErzĂ€hlungen all der Menschen, die Auschwitz erlebten, fĂŒgen sich zu einer Gesamtschau, zu einer Wirklichkeit der Tatsachen zusammen. Wir können Tatsachen (im Wittgensteinschen Sinn) leugnen oder uns mitfĂŒhlend einfĂŒhlen, aber wir können sie nicht auslöschen. Eine Theorie des Sozialen darf Menschen und ihre Emotionen nicht ausschließen. Eine Theorie des Zwischenmenschlichen sollte sowohl Menschen als handelnde Akteure zeigen als auch die Muster ihrer Kommunikationen und Beziehungen sichtbar machen. Vor allem muss sie uns in die Lage versetzen, unvoreingenommen und mitfĂŒhlend zu beobachten und zuzuhören, um sinnlich erlebte Wirklichkeiten aufzuheben und zu transformieren.

Mysteriöse Welten (Salman Rushdie)

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“Aber was mein Vater, der sich nie dem Gras hingab, an besonderer Stelle auf dem Sims aufbewahrte, war etwas viel Selteneres, etwas LegendĂ€res, nahezu Okkultes. ‚Afghan Moon‘, sagte mein Vater. ‚Wenn du das nimmst, öffnet sich das dritte Auge in deiner ZirbeldrĂŒse, mitten auf deiner Stirn, du wirst hellsichtig, und nur wenige Geheimnisse bleiben dir verschlossen.‘

‚Warum hast du es dann nie genommen‘, fragte ich.

‚Weil eine Welt ohne Mysterien wie ein Bild ohne Schatten ist‘, sagte er. ‚Du siehst zu viel, und es zeigt sich dir nichts‘.“

(Salman Rushdie, Golden House, S.42)

Murakami – zur Bedeutung narrativer Wirklichkeiten

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Große gesellschaftliche UmwĂ€lzungen erfordern – ganz gleich, in welchem Zeitalter – zu Ihre UnterstĂŒtzung stets auch Verschiebungen in der narrativen Wirklichkeit.

ErzĂ€hlliteratur existiert als natĂŒrliche Metapher der RealitĂ€t, und die Menschen brauchen immer neue Geschichten, das heißt neue Metaphernsysteme, die in ihrem Inneren heimisch werden, damit sie mit den verĂ€nderten UmstĂ€nden Ihrer Umgebung Schritt halten können und nicht abgeschĂŒttelt werden. Indem wir die beiden Systeme (gesellschaftliche und metaphorische RealitĂ€t) verknĂŒpfen, mit anderen Worten, subjektive und objektive Welt ineinandergreifen und einander ergĂ€nzen lassen, können wir uns leichter in einer ungewissen RealitĂ€t verorten und geistige StabilitĂ€t bewahren.

(Haruki Murakami (2015). Von Beruf Schriftsteller. Dumont. S. 219)

Vom TrÀumen

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Ein Traum ohne Wirklichkeit bedeutet mir ebenso wenig
wie reine Wirklichkeit ohne Traum
(Max Reinhard).

Was tun, wenn unsere TrĂ€ume, die grĂ¶ĂŸeren oder die kleineren, sich auflösen? Der Traum Nelson Mandelas niedergetrampelt von Jacob Zuma. Die TrĂ€ume der Befreiung zerbrochen in zahllosen Diktaturen. Die TrĂ€ume der Erlösung ausgeblutet im Leiden. Der Traum vom Sieg der Liebe enthauptet von einer Machete. Dies könnte der Anfang einer schier endlosen Liste sein. Was also, wenn unsere TrĂ€ume auf dem harten Pflaster der RealitĂ€t zerplatzen. Wenn das weitrĂ€umige TrĂ€umen fast regelhaft ins Desaster fĂŒhrt – sollen, können, dĂŒrfen wir (noch) trĂ€umen? Was wird aus dem GetrĂ€umten? Wohin geht das TrĂ€umen?

Solange ich denken kann, war ich vertrĂ€umt. Ich trĂ€umte im Gehen, beim Spielen, in der Schule, an der Uni, auf Wiesen, unter Wolken oder Plakaten, an StrĂ€nden, in ZĂŒgen. Einmal lief ich, ich muss etwa fĂŒnf Jahre alt gewesen sein, mit offenen Augen trĂ€umend gegen einen Laternenpfahl. Man hatte mich Milch holen geschickt, die Milchkanne fiel mir aus der Hand und die Milch ergoß sich in den Rindstein. In der RealitĂ€t angekommen rieb ich mir den Kopf und spĂŒrte, wie eine Beule schnell dicker wurde. Ich fĂŒrchte, ich bin keine gute Testperson fĂŒr Behaviouristen, ich laufe immer wieder trĂ€umend gegen PfĂ€hle und hole mir Beulen.

 Ich trĂ€ume lesend, sprechend, schreibend, beim Schlendern durch StĂ€dte vergesse ich trĂ€umend die Zeit. Ich trĂ€ume allein und gemeinsam mit anderen – manchmal trĂ€ume ich noch, wenn die anderen schon lĂ€ngst weitergezogen sind. Ein vergessenes Kind am Strand, das, alles um sich herum vergessend, im Sand mit Steinen und Muscheln und Wassern spielt, trĂ€umend. Ich kann mir nicht vorstellen, nicht mehr zu trĂ€umen. Könnte ich nicht mehr trĂ€umen, fĂŒhlte ich mich lebendig begraben.

Doch was wird aus unseren TrÀumen, wenn wir versuchen, sie zu verwirklichen? Mit dieser Frage bin ich nicht allein. Amoz Oz stellt sie in seinem Roman Eine Geschichte von Liebe und Finsternis (verfilmt von Natalie Wortmann). Hellsichtig, poetisch. Ein Teil stirbt beim TrÀumen, ein anderer Teil lebt weiter. Im Traum. Vielleicht.

 

 

Hegel – Zur WidersprĂŒchlichkeit der Wirklichkeit

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Mit Hegel können wir WidersprĂŒchlichkeit als ein Grundprinzip alles Lebendigen verstehen:

 Etwas ist also lebendig, nur insofern es den Widerspruch in sich enthĂ€lt, und zwar diese Kraft ist, den Widerspruch in sich zu fassen und auszuhalten – anderenfalls geht es in dem Widerspruch zu Grunde (L II 76).

In ganz besonderem Maße gilt dieses Prinzip fĂŒr die SphĂ€re des Denkens: „Das spekulative Denken besteht nur darin, dass das Denken den Widerspruch und in ihm sich selbst festhĂ€lt“ (L II 76).

Der Widerspruch bestimmt so fĂŒr Hegel die Struktur von logischer, natĂŒrlicher und geistiger Wirklichkeit ĂŒberhaupt. Wie können wir die PhĂ€nomene der Welt in ihrem Zusammenhang, als Ganzes, entdecken und verstehen? Diese Frage fĂŒhrte den großen deutschen Philosophen Hegel zu einer Art des Denkens, die er Dialektik nannte. Dialektik, der Prozess der WidersprĂŒchlichkeit, bezeichnet dabei sowohl die Methode des Denkens (des Nachdenkens ĂŒber die Dinge), als auch das Prinzip, das den Dingen selbst innewohnt.

Im Denken Hegels spielen die sogenannten Reflexionsbestimmungen – „IdentitĂ€t“, „Unterschied“, „Widerspruch“ und „Grund“ – eine zentrale Rolle. Er analysiert die Reflexionsbestimmungen in ihrem VerhĂ€ltnis zueinander und zeigt, dass ihnen in ihrer Isolierung gegeneinander keine Wahrheit zukommt, nur im Zusammenhang. Die bedeutendste Reflexionsbestimmung ist die des „Widerspruchs“. Hegel legt großen Wert darauf, dass der Widerspruch nicht wie bei Kant „in die subjektive Reflexion geschoben“ werden dĂŒrfe (L II 75). Dies wĂŒrde eine „zu große ZĂ€rtlichkeit“ (L I 276) den Dingen gegenĂŒber bedeuten. Vielmehr kommt der Widerspruch den Dingen selbst zu. Er ist „das Prinzip aller Selbstbewegung“ (L II 76) und deshalb in aller Bewegung vorhanden.