Entwicklungsraum Erde

Veröffentlicht am Posted in Entwicklungsräume, Sinn&Hoffnung, Utopie&Wirklichkeit

Wie können wir die Corona-Krise angemessen verstehen und als Chance nutzen? In einem Beitrag für die SZ verdeutlichen die Wissenschaftler Christoph Rosol, Jürgen Renn und Robert Schlögl die Zusammenhänge zwischen Erderwärmung, Zerstörung der Artenvielfalt und gesundheitlichen Problemen. Wir gestalten die Entwicklungsräume, in denen wir uns bewegen selbst, durch die Art wie wir Beziehungen gestalten, zu uns selbst, zu anderen und zur Umgebung. Wenn es gut geht, entwickelt sich eine ökosystemische Wissenschaft, eine Art zu denken, wie es Gregory Bateson („Ökologie des Geistes“) vorgeführt hat.

Leichter Sinn schießt Tore

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Aus der Sicht des Fußballtrainers ist leichter Sinn für mich verbunden mit der Sorglosigkeit, die ein Stürmer spürt, der in einer Saison aus jeder Situation trifft. Es gibt ja solche Jahre, in denen Stürmern alles gelingt, und solche, in denen nichts mehr klappt, obwohl dieser Stürmer seine fußballerischen Qualitäten nicht verloren hat. Mit einem leichten Sinn trifft er aus jeder Lage, vielleicht auch, weil er nicht nachdenkt. In schlechten Jahren schießt er dann aus drei Metern am leeren Tor vorbei.

(Hermann Gerland, Fußballtrainer)

Die „wiedergefundene Zeit“ (Felwine Sarr)

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„Diese Zeit könnte eine wiedergefundene Zeit sein“ schreibt der Senegalese Felwine Sarr in den Zeiten der Pandemie. „Aber sie belastet der Schrecken, mit dem Unbekannten leben zu müssen, das vor uns liegt. Wir haben uns angewöhnt, die Zukunft zu belehnen. Die künftige Zeit zu planen. Die unter uns, die im Wirbel einer globalisierten, hypermobilen Zeit leben, wir waren es gewohnt, unsere Agenda auf Monate hinaus vollzupacken. Wir wussten, was wir den kommenden Winter und Frühling machen würden.

Für die Mehrheit war das Morgen immer gefärbt von Ungewissheit

Wir haben das Unerwartete ausgemustert, gewappnet mit einer Psychologie des Etablierten, einer Zeit, die geordnet wird von Zielen und Zwecken, vom Lieferbaren. Wir lebten in dieser Zeit des Kapitalismus, ausgerichtet auf immer größere Produktivität, besessen, die größtmögliche Zahl von Aktionen gleichzeitig auszuführen. Die Zeit okkupieren, bis zum Gehtnichtmehr. Für andere, und das ist die Mehrheit, war das Morgen immer gefärbt von Ungewissheit. Es brachte seinen Teil an Herausforderungen und plötzlichen Engpässen, manchmal Überraschungen und Tröstungen. Die ungewissen Zukunftstage, man lernte und wusste mit ihnen zurechtzukommen. Man zähmte die Zeit durch eine Runde Tee, durch das Netz einer Unterhaltung, die sie in einen Ort gehobener Qualität veredelte.

Wenn der Schraubstock demnächst wieder gelockert ist, was werden wir dann machen mit dieser wiedergefundenen Zeit? Dieser Moment verpflichtet uns, die Zukunft von Projekten freizumachen, sie zu de-projizieren, sie geschehen zu lassen. Sie zwingt uns, bei uns selber zu bleiben. Innerlich eine Präsenz zu entwickeln und diese sich offenbaren zu lassen, was gewöhnlich abgewürgt wird durch Hyperaktivität und den Lärm draußen…So setzt sich in einem all das durch, was Zeit, Latenz und Dauer braucht, um hervorzukommen…“

 

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Leichter Sinn für das Allerschwerste (Philipp Ruch)

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Philipp Ruch ist Philosoph und schreibt (ZEITMAGAZIN NR. 43/201817. OKTOBER 2018):

In Platons Politeia findet sich ein Satz, der mich immer wieder aufs Neue beeindruckt: „Denn alles Große verfällt leicht, und das Schöne ist in der Tat schwer, wie man sagt.“ In Anlehnung an dieses offenbar alltägliche Sprichwort im antiken Athen, das uns nur über die Politeia überliefert ist, lässt sich vielleicht etwas über den leichten Sinn sagen: Das Schwere leicht aussehen zu lassen, um eine Gesellschaft zu verzaubern, zu verstören oder zu inspirieren, scheint Teil einer Kontur zu sein, die die meisten künstlerischen Werke und Arbeiten, Inszenierungen, Musikstücke und Kinofilme durchzieht. Ohne diesen leichten Sinn für das Allerschwerste, das wahrlich Unmögliche, gäbe es Kunst vielleicht nicht. Die Kunst als Politik des leichten Sinnes für das Unmögliche.

Bildlich muss ich da zuallererst an unseren einsamen Drucker denken, der am Gezi-Park aus einem Hotel heraus über 1000 Flugblätter in ein autokratisches Regime hineingedruckt hat, per Cloud-Print. Wir haben ihn dort aufgestellt, im Gedenken an den 75. Todestag der Geschwister Scholl, und ihn mit erhöhter Papierzufuhr versehen, sodass er jene Blätter auf die Straße druckt, auf denen zum Sturz des Regimes aufgerufen wurde. Dieses leichte Segeln, dieser angelehnte Drucker, der simple Akt – das alles führt den Beweis, dass so etwas „Leichtes“ wie ein Flugblatt in einer Diktatur wie eine Explosion wirken kann. Das Schwere, der Drahtseilakt, das alles sieht hier so leicht aus. Es ist aller Angst, allen Schweißes und aller Mühen entkleidet, die bei vielen Menschen ein ganzes Jahr eingenommen haben.

Sinnlich erlebte Wirklichkeit

Veröffentlicht am Posted in Utopie&Wirklichkeit, Wahrheit&Wahrhaftigkeit

Über Leben in Auschwitz (SZ.de vom 24. Januar 2020)

Ein bemerkenswerter Essay des Historikers Nikolaus Wachsmann über die Wirklichkeit des Lagerlebens, 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Das ist auch theoretisch bemerkenswert: Die konkrete Beschreibung der sinnlich erlebten Erfahrung führt alle postmodernen Versuche, Wirklichkeiten im Ungefähren und Beliebigen aufzulösen, ad Absurdum. Sicher, wir können die Wirklichkeit nur subjektiv erfassen, daher es gibt viele „Wahrheiten“ und Interpretationen von Wirklichkeiten. Aber die konkreten Erzählungen all der Menschen, die Auschwitz erlebten, fügen sich zu einer Gesamtschau, zu einer Wirklichkeit der Tatsachen zusammen. Wir können Tatsachen (im Wittgensteinschen Sinn) leugnen oder uns mitfühlend einfühlen, aber wir können sie nicht auslöschen. Eine Theorie des Sozialen darf Menschen und ihre Emotionen nicht ausschließen. Eine Theorie des Zwischenmenschlichen sollte sowohl Menschen als handelnde Akteure zeigen als auch die Muster ihrer Kommunikationen und Beziehungen sichtbar machen. Vor allem muss sie uns in die Lage versetzen, unvoreingenommen und mitfühlend zu beobachten und zuzuhören, um sinnlich erlebte Wirklichkeiten aufzuheben und zu transformieren.

Abend-Briefing

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Ein Beispiel 

Eine Auswahl, Schwerpunktsetzung ist immer möglich:

  • Zurückschauen auf das Tagewerk mit dem Fokus: Was habe ich, was haben wir getan und geschafft (was nicht geschafft wurde, daran ist nichts zu ändern).
  • Welche Gefühle und Empfindungen tauchten auf, welche traten in den Vordergrund und brauchen Aufmerksamkeit.
  •  Einfache Dreiteilung:
    – Was hat gestört (war überflüssig)?
    – Was ist gelungen, was war gut?
    – Was wünsche ich mir, wünschen wir uns (noch) mehr?
  • Welche meiner, unserer Aktivitäten hat mir, hat uns besondere Freude bereitet?
  • Wie ist es mir, uns gelungen, in bestimmten Tätigkeiten (in meinem, in unserem Sinne) erfolgreich zu sein?
  • was habe ich, was haben wir gelernt?
  • Bei welcher Aktivität konnte ich mich, konnten wir uns weiter entwickeln?
  • Wem kann ich, wem können wir danken?
  • Was könnte ich, was könnten wir tun, um uns auf Morgen zu freuen? (uns weniger zu fürchten,…?)

Resilienz und Effizienz ausbalancieren – Das „Lebensfenster“- Ein Meta-Modell für nachhaltige Entwicklung

Veröffentlicht am Posted in Entwicklung

Resilienz und Effizienz ausbalancieren
Das „Lebensfenster“ – Ein Meta-Modell für nachhaltige Entwicklung

Von Jan Bleckwedel

Rahmung

Die menschengemachte Erderwärmung bedroht unsere Existenz. Die physischen Schäden sind schon heute immens und der sich verdunkelnde Horizont beeinträchtigt die Lebensfreude. Die Krisensymptome einer auf Expansion basierenden Zivilisation zeigen eindrücklich die Grenzen ungezügelten Wachstums[i]. Machen wir einfach so weiter, zerstören wir unsere Lebensgrundlagen. Auch in Beratung und Therapie scheint es wenig sinnvoll, einseitig auf individuelles Wachstum oder expansive Lösungen zu setzen, während gleichzeitig
immer deutlicher wird, dass eineUMGEBUNGSBLINDEExpansion – die ungehemmte Ausdehnung menschlicher Möglichkeitsräume – unser Überleben als Spezies gefährdet.

Es ist Zeit, etwas Neues, und vielleicht ganz Altes, zu beginnen. Die Frage lautet: Wie gestalten wir, Beraterinnen und Therapeutinnen, die Beziehungen zu uns selbst, untereinander, zu unseren Klient*innen und zur natürlichen Umgebung so, dass Entwicklungsräume und Entwicklungschancen für zukünftige Generationen erhalten bleiben? Das ist keine geringe Herausforderung, aber es liegt eine Chance darin. Wir könnten die Fähigkeit entwickeln, menschliche Entwicklungsräume kontextsensibel & ressourcenorientiert zu pflegen und zu gestalten (also in enger Abstimmung mit allen nährenden inneren und äußeren Umgebungen).

Im Rahmen einer öko-systemischen Perspektive (Bateson, 1981, Bleckwedel, 2008, S, 295) plädiere ich für einen systemisch entwicklungsorientierten Ansatz (Bleckwedel, 2021). In einer entwicklungsorientierten Perspektive gehen Konflikte und Lösungen permanent auseinander hervor[ii]. Eine systemisch entwicklungsorientierte Praxis kombiniert daher ganz selbstverständlich Konfliktbearbeitung undLösungsentwicklung, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Nachhaltige Lösungen produzieren möglichst wenig schädigende neue Probleme und Konflikte. Die Frage lautet dann: Wie können wir gemeinsam mit unseren Klient*innen Probleme, Konflikte oder Störungen in nachhaltige Lösungen transferieren?

Alle bio-psychischen und sozio-kulturellen Systeme beziehen sich in ihrer gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklung auf sich selbst, auf ihre Umgebungen und auf vorangegangene Entwicklungen. Wir arbeiten mit bezogenen und geschichtlichen Systemen, daher lebt unsere Praxis vom Bezogensein und vom „Respekt für Geschichtlichkeit“ (Bleckwedel, 2008, S. 52-53), der sich im Verstehen von Geschichtlichkeit ausdrückt. Wie und unter welchen Bedingungen haben sich die Systeme, mit denen wir arbeiten, entwickelt? Wer Entwicklung besser verstehen will tut gut daran, sich etwas näher mit den Entwicklungsgesetzmäßigkeiten lebender Systeme zu beschäftigen.

In diesem Kontext wird nun interessant, wie lebende Systeme Resilienz und Effizienz ausbalancieren, um Entwicklung und Überleben zu sichern.

1. Das Lebensfenster
(Window of Viability): Ein theoretisches Meta-Modell für nachhaltige Entwicklungen

Leben ist Wandel durch Aktivität. In einer entwicklungsorientierten Perspektive geht es ganz wesentlich darum, für eine ausgewogene Balance von Aktivitäten zu sorgen, die für Resilienz einerseits und für Effizienz andererseits sorgen. Für das Verhältnis von resilienten und effizenten Aktivitäten gibt es, will ein System überleben und sich weiterentwickeln, eine goldene Regel. Die Grafik stellt den beschriebenen Zusammenhang in einer Kurve dar. Das Lebensfenster (Window of Viability, Lietaers, 2010) kennzeichnet den Bereich, in dem lebende Systeme nachhaltig überlebensfähig bleiben können:

 

Quelle Bernard Lietaer, Robert E. Ulanowicz, Sally J. Gerner, Nadia McLaren 

1.1. Zwei Aktivitäten, die Entwicklung nachhaltig sichern

Wir können zwei Aktivitäten unterscheiden, durch die lebende Systeme – zum Beispiel einzelne Zellen, Gehirne, Lebewesen, menschliche Individuen oder soziale Gemeinschaften –  Entwicklung und Überleben nachhaltig sichern (können):

A) Resilienz fördernde Aktivitäten

> Aufbau und Pflege paralleler Strukturen/Kapazitäten/Potenziale, die nicht unmittelbar genutzt werden und als „Backup“ dienen, um bei (unvorhergesehenen) Veränderungen mit Entwicklungsaktivitäten reagieren zu können.

> Aktivitäten, die Fehlerfreundlichkeit (vgl. Prinzip Fehlerfreundlichkeit, Bleckwedel 2008, S 74-80) herstellen, d.h. Aktivitäten die für Redundanz, Grenzziehung und Austausch gleichermaßen sorgen, um die Entfaltung von Vielfalt (Diversity) zu sichern.

 Aufbau und Pflege von Querverbindungen und Quervernetzungen (Interconnections), die, weil zunächst nicht unbedingt nötig und genutzt, momentan „überflüssig“ erscheinen.

B) Effizienz fördernde Aktivitäten

Damit sind alle Aktivitäten gemeint, die zu einer vollen Ausnutzung und Auslastung aller zur Verfügung stehenden Strukturen/Kapazitäten/Potenziale führen, um stringent und stromlinienförmigen (streamlined) bestimmte Ziele zu  verfolgen und zu erreichen.

1.2. Zum optimalen Verhältnis von Resilienz fördernden und Effizienz fördernden Aktivitäten

Kurzfristig kann, je nach Situation, die eine oder die andere Aktivität „hochgefahren“ werden. Langfristig gesehen streben lebende Systeme aber stets nach einem optimalen, ausgewogenen Verhältnis beider Aktivitäten. Nimmt man die empirische Forschung (Ergebnisse aus Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Entwicklungspsychologie, Sozialpsychologie, Soziologie und Ökonomie) ernst, dann sind lebende Systeme dann nachhaltig lebens- und überlebensfähig, wenn sie in etwa 2/3 ihrer Aktivitäten für Resilienz und 1/3 für Effizienz aufwenden.

Ein gutes Beispiel dafür sind die Aktivitäten unseres Gehirns. Aber was für biologische Systeme gilt, gilt ebenso für psychische, soziale und kulturelle Systeme. Mit etwas Überlegung findet jeder, findet jede leicht zahlreiche Beispiele. Menschliche Systeme – Personen, Paare, Familien, Gruppen, Teams, Gemeinschaften – brennen aus („burn out“), wenn sie nicht ausreichend regenerieren. Das gilt übrigens besonders für Leistungssportler (Graumann, 2019). Guter Schlaf fördert die Leistungsfähigkeit.

1.3. Eine einfache Überlebensformel

Es ergibt sich eine einfache Überlebensformel: Aktivitäten für Resilienz sind, mittel- und langfristig, etwa doppelt so wichtig wie Aktivitäten für Effizienz. Der goldene Schnitt, das optimale Verhältnis für lebende Systeme lautet:

2/3 Resilienz förderne Aktivitäten
1/3 Effizienz fördernde Aktivitäten

1.4. Wenn Resilienz zum Problem wird

Systeme, die zu sehr nach Resilienz streben (zu stark auf Aktivitäten zum Erhalt von Belastbarkeit setzen), verlieren ihre Durchsetzungsfähig. Sie werden irgendwann an den Rand gedrängt und/oder sterben ab.

1.5. Wenn Effizienz zum Problem wird

Systeme, die zu sehr nach Effizienz streben, verlieren ihre Widerstandsfähigkeit. In kritischen Situationen (wenn die Umgebungsbedingungen sich abrupt und extrem ändern) verlieren sie ihre Stabilität und kollabieren, oder sie implodieren in dem überhitzten Feuerwerk, das sie selbst erzeugen.

1.6. Beispiel Finanzkrise 2008

Das internationale Finanzsystem, sagen die Autoren, von denen das Konzept stammt, operierte seit den 80ger Jahren des vorherigen Jahrhunderts, vorangetrieben durch einen radikalen Neoliberalismus, weit außerhalb des Vitalitätsfensters: Neue, von der realen Wirtschaft abgekoppelte „Finanzinstrumente“ und eine ausgeprägte Monokultur der Geldschöpfung (wenige große, global agierende Finanzakteure wie Banken und Hedge-Fonds) führten zu einer hohen Effizienz des Systems. Als die Immobilienblase platze erwies sich das System als hochgradig instabil, und wäre, ohne massive, systemfremde, staatliche Stützung, komplett zusammengebrochen. Wer mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf Verluste nach immer mehr Effizienz strebt, riskiert den Zusammenbruch. Dieses Phänomen lässt sich mit dem beschriebenen theoretischen Modell sehr gut erklären.

1.7. Beispiel Corona-Krise 2020

In den letzten Dekaden wurden nicht nur Gesundheitssysteme weltweit auf Effizienz ausgerichtet. Beim Ausbruch der weltweiten Pandemie zeigt sich nun, wie Gesundheits- Bildungs- und Sozialsysteme sehr schnell an den Rand ihrer Belastbarkeit kommen und teilweise kollabieren. Die Krise bringt nüchtern an den Tag, was stimmt und was nicht stimmt. Zu wenig Resilienz. Die genannten Systeme wurden systematisch auf Effizienz getrimmt und „kaputtgespart“ (wobei die Gewinne privatisiert und die Kosten vergesellschaftet werden).

Die Chance liegt jetzt in einer grundlegenden Korrektur des Denkens und Handelns. Fazit: Mehr Resilienz wagen – weniger Effizienz anstreben.

2. Ausblick 

Das Vitalitätsfenster liefert als Meta-Modell wertvolle Hinweise für alle, die Entwicklung gestalten wollen. Das gilt für einzelne Personen genauso wie für soziale, kulturelle oder politische Systeme. Mit Blick auf die Veränderungen durch den Klimawandel werden wir nicht darum herumkommen, unseren Lebensstil und die Art unseres Zusammenlebens grundlegend zu verändern. Es wäre tragisch, wenn wir auf dem Weg unserer weiteren Transformation vergessen würden, woher wir kommen und was uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Die Beziehungen, die wir miteinander entwickeln und gestalten sind die Wurzeln und Quellen unserer Lebenslust und unserer Kreativität. Menschliches Beziehungsleben ist eine unerschöpfliche, erneuerbare, ökologisch unbedenkliche Ressource, die wir gestalten können.

Nicht zuletzt sind wir die Spezies, die über Erfindungsgeist und kulturelle Schöpferkraft verfügt. Wir können die Art und Weise, wie wir leben und zusammenleben wollen, so gestalten, dass wir die Umgebungen, von denen unser Leben abhängt, pflegen wie einen Garten.

Technikentwicklung allein wird es sicher nicht richten[iii]. Wie auch immer die Wege in die Zukunft aussehen mögen, wir haben die Chance und die Fähigkeit, die Steigerungs- und Expansionslogik[iv], mit der wir als Spezies schon so lange unterwegs sind und die alle Bereiche, von der Ökonomie bis zur Psyche, durchdringt und beherrscht, in etwas anderes zu transformieren[v].

Das aber wird keine Frage der technischen, sondern primär eine Frage der psycho-sozialen und politisch- kulturellen Innovation sein[vi].

Im Verlauf der Evolution erfanden Menschen immer komplexere Formen des Miteinanders, der Kooperation und kommunikativen Abstimmung – wir haben tatsächlich gelernt, unsere Beziehungen schöpferisch zu gestalten, zu uns selbst, untereinander und zur Umgebung. Wir erfinden und gestalten also die psychischen, sozialen und kulturellen Möglichkeitsräume, in denen wir uns bewegen und entwickeln, im kommunikativen und kooperativen Miteinander.  Diese Erkenntnis erschreckt und tröstet zugleich. Die Welt ist so, wie wir sie gemeinsam mit anderen hervorbringen, und ja, wir können sie gemeinsam neu erfinden und anders gestalten. Wir sind Teil eines größeren Entwicklungsraumes, der Biosphäre, und wir teilen diesen Entwicklungsraum mit anderen Lebewesen.

Literatur

Bateson, G. (1981). Ökologie des Geistes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Bleckwedel, J. (2008). Systemische Therapie in Aktion. Kreative Methoden in der Arbeit mit Familien und Paaren. 4. Auflage. V&R, Göttingen.
Bleckwedel, J. (voraussichtlich 2021). Menschliche Beziehungsgestaltung. Entwurf einer systemischen Theorie des Zwischenmenschlichen. Eine entwicklungsorientierte Perspektive. V&R, Göttingen.
Graumann, L., Walter, U.N., Krapf F. (2019). Regeneration. Riva Verlag, München.
Lietaer, B., Ulanowicz, R.E., Gerner, S.J., McLaren, N. (2010). Is our Monetary Structur a Systemic Cause for Financial Instability. Evidence and Remedies from Nature.https://www.researchgate.net/publication/229039856_Is_our_monetary_structure_a_systemic_cause_for_financial_instability_Evidence_and_remedies_from_nature

[i]   Im Jahr 2000 prägte der niederländische Chemiker, Atmosphärenforscher und Nobelpreisträger (1995) Paul Crutzen gemeinsam mit Eugene Stoermer für unser Zeitalter die Bezeichnung Anthropozän. Damit ist eine neue geochronologischen Epoche gemeint, in der der Mensch zum alles dominierenden Einflussfaktor wird. Nimmt man die Daten und Fakten zur Kenntnis, dann spielt die Menschheit buchstäblich mit dem Feuer, indem sie durch ihre Lebensweise die fragilen Gleichgewichtsverhältnisse, die ein Überleben auf der Erde ermöglichen, unwiederbringlich aus der Balance bringt.

[ii] Probleme oder Konflikte werden gelöst, aber jede Lösung führt, wenn wir länger hinschauen, zu neuen Problemen, die wieder zu neuen Lösungen führen..

[iii]  Vgl. Paech (2012), Kapitel IV

[iv] Hartmut Rosa nennt dies die konstitutive Steigerungsorientierung der Moderne, die »als  struktureller Zwang eingeschrieben (ist) in die Institutionenlogig der kapitalistischen Ökonomie«, und ebenso in »die Funktionsweisen der Wissenschaft, der Massenmedien, des Rechts und der Politik« (Rosa, 2016, S. 78)

[v]  Vgl. Ernst Ulrich von Weizsäcker und Andreas Wijkman (2017). Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Vgl. auch Paech (2102). Befreiung vom Überfluss.

[vi] Vgl. u.a. Assmann, A. (2018). Menschenrechte und Menschenpflichten. Schlüsselbegriffe für eine hu­mane Gesellschaft. Zu den weniger bekannten Menschenpflichten:  https://www.interactioncouncil.org/sites/default/files/de_udhr%20ltr.pdf

Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen im Krisenmodus – Umgang mit Unterschieden

Veröffentlicht am Posted in Sinn&Hoffnung

Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen bilden  einen zusammenhängenden Komplex. In Krisensituationen tritt dieser Komplex in seinem ganzen Facettenreichtum besonders hervor. Wie gehen wir psychologisch angemessen mit den zu Tage tretenden Unterschiedlichkeiten in der Bewältigung und Sinngebung einer unerwartet auftretenden Krise um? Einer Krise, die alle uns bekannten Dimensionen sprengt und einer Fahrt ins Ungewisse gleicht?

Blühende Vielfalt

Vieles scheint jetzt auf den ersten Blick ähnlich, egal wohin man blickt: Quarantäne, soziale Distanzierung, virtuelle Kommunikation. Eine sozial-psychologische Sichtweise zeigt allerdings ein viel bunteres Bild: Wir alle greifen im Krisenmodus zunächst auf bekannte Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen zurück, in denen wir uns heimisch, mit denen wir uns wohl fühlen. Das gilt für jede, jeden einzelne(n), aber auch für diverse Gruppen, Gemeinschaften, Länder und Kulturen. Wir greifen auf das zurück, was uns vertraut ist (Texte, Bilder, Gerichte, Gerüche, Praktiken, Ideen oder etwas, das wir (an)fassen können). Regression im Dienste des Ichs – der eine etwas ängstlicher, die andre etwas lässiger.

Das Phänomen ist menschlich und erwartbar, es bestätigt viele grundlegende Theorie der Psychologie und wird jetzt überall sichtbar: Auf dem Feld der Politik ebenso wie in den Feldern der Wissenschaften, der Kunst und des Alltags. In Zeiten der Ungewissheit tauchen daher Bewältigungsmuster und Sinn- Konstruktionen in gewohnter und gleichzeitig in sehr vielfältiger Form auf – so unterschiedlich, wie Menschen, Gruppen, Gemeinschaften und Kulturen nun einmal sind. Ich selbst schreibe. „Patient zeigt Schreibverhalten“, so habe ich es tatsächlich vor Jahren in einer psychiatrischen Akte gelesen.

Eine Illustration der Vielfalt ist kaum nötig, schon weil jede Liste unvollständig, tendenziös und angesichts der Vielfalt der Erscheinungen ungerecht wäre.

Wie Vielfalt entsteht 

Bei der Hervorbringung von Vielfalt wirken individuelle und kollektive Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen –  kommunikativ gekoppelt – ineinander:

  1. A) Individuelle Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktion sind (a) biografisch und (b) kulturell tief in der Psyche verankert, zudem werden sie durch (c) die Stellung in der Gesellschaften, (d) politische Überzeugungen, (e) besondere Identitätskonstruktionen, (f) persönliche Leidenschaften, (g) Lebensstile und (h) spezifische Echoräume (diskursive Blasen) bestimmt und geformt.
  2. B) Kollektive Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen sind tief im kollektiven Bewusstsein von Gruppen, Gemeinschaften, Ländern und Kulturen verankert; einem (jeweils spezifischen) gemeinsam geteilten Hintergrund aus geteilten Praktiken und Kommunikationen, Ideen, Werten, Normen, Standards und Glaubensätzen ( vgl. die Theorie des Common GroundHerbert H. ClarkEdward F. Schaefer, 1989).

Aus der jeweils besonderen Kombination und Variation von A) und B) entwickelt sich in einem fehlerfreundlichen Prozess eine bunte Vielfalt von Bewältigungsmustern und Sinn-Konstruktionen (mündliche Erzählungen, Blogs, Videos, Zeitungen, die Literatur sind voll davon).

Aufmerksamkeit für Achtsamkeit und gegenseitigen Respekt 

In Situationen, in denen gemeinsames und einheitliches Handeln, wo Solidarität besonders gefordert ist, und gleichzeitig Vielfalt blüht, sind Konflikte vorprogrammiert. Deshalb scheint es in Krisenzeiten intelligent und nützlich, besonders achtsam und respektvoll mit unterschiedlichen Bewältigungsmustern und Sinn-Konstruktionen umzugehen. Denn in diesen Dingen ist der Homo Sapiens (also wir alle) besonders empfindlich. Einmal tiefer gekränkt greifen wir verbal oder konkret schnell zur Keule – und, das wissen wir aus vielen Experimenten, je größer die Distanz und Anonymität, desto gnadenloser wird zugeschlagen.

Wir müssen also tun, was leicht gesagt aber nicht so einfach zu machen ist.

Ein gelassener und respektvoller Umgang miteinander wäre – besonders in Bezug auf unterschiedliche Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen –  hilfreich, um Solidarität und gemeinsames Handeln zu ermöglichen. Das gilt besonders für jene Phasen, die nach dem ersten Erschrecken und Innehalten kommen, wenn Handlungsdruck, Unsicherheit, Angst und Aggression ansteigen.

Wenn es gut läuft, lernen wir, sehr genau nachzufragen und einander achtsam zuzuhören, ohne das Gefühl zu haben, unsere eigenen Ideen dabei zu verlieren oder zwangsweise aufgeben zu müssen (Transhumane und transkulturelle Kompetenz). Aus der Mitte solcher dialogischer Verhandlungsprozesse kann, wenn es gut geht, Kreatives, gar Innovatives entstehen (ganz nebenbei entwickeln sich dabei Ich-Stärke und Einfühlungsvermögen).

Fehlerfreundlichkeit und Konfliktbereitschaft

Fehler und Irrtümer werden in dem Lernprozess, in den wir jetzt gemeinsam, ungewollt und auf unbestimmte Dauer, eintreten, an der Tagesordnung sein. Wohl denen, die sich selbst und anderen Fehler und Irrtümer eingestehen und zugestehen können.

Angesichts komplexer Herausforderungen – und den damit verbundenen Dilemmata – kann es zu harten und intensiven Konflikten kommen; dann wird es darauf ankommen, Probleme offen anzusprechen und Konflikte offen auszutragen (ohne immer gleich beleidigt zu sein oder als Sieger vom Platz gehen zu wollen). Ungewissheit muss ausgehalten und schwierige Situationen durchgehalten werden, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

In jedem Fall sollten die Fakten im Blick bleiben und zählen. Zensur oder gefälschte Fakten sind im Kampf gegen Viren ebenso kontraproduktiv wie Impulsdurchbrüche oder Verleugnung.

Nicht immer wird unter hohem Entscheidungsdruck ein Konsens gefunden werden können. Unterschiedliche Strategien, Konzepte und Meinungen werden aufeinanderprallen – und doch muss im Zweifelsfall zeitnah entschieden werden, wie das Abenteuer jeweils weitergehen soll. Oft ist es klug und angemessen, verschiedene Optionen gleichzeitig zu verfolgen, andererseits müssen klare Entscheidungen getroffen werden. Think global, act local ist im Krisenmodus ebenfalls ein gutes Konzept.

Die reale Welt ist weder ideal noch gerecht, aber wir können versuchen, gemeinsam in jeder Situation  unterschiedliche Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen zu berücksichtigen. Im besten Fall bewahren wir dabei fachliche und ethische Regeln, Standards und Werte, die wir für sinnvoll halten und an die wir glauben.

(Dieser Beitrag wurde motiviert durch eine Bemerkung über „Bewältigungsmuster und Sinn-Konstruktionen im Krisenmodus“ in einer E-Mail von Prof.Dr. Jürgen Armbruster)

[1] Z.B. Georg Kreissler, Lied über den Herrn Meyer mit seinem Hund:https://www.youtube.com/watch?v=rUZLTgmbpq0

[2] Und das sind wir nun Alle: Homo Sapiens, andere Menschenarten gibt es nicht mehr.

[3] Wer im Internet Videos mit diesem Zungenschlag sieht, sollte vorsichtig sein, es könnte sich um den russischen Geheimdienst handeln.

Morgen-Briefing

Veröffentlicht am Posted in Struktur&Routine

Die Reihenfolge ist schon sinnvoll, kann aber auch verändert werden.  Wie ausführlich einzelne Punkte jeweils besprochen werden können (sollten), hängt natürlich von der Situation ab. Das Morgen-Briefing geht zu zwein, als Familie, Team, oder auch allein (evtl. in verschiedenen Rollen).

  1. Wie geschlafen? (Träume)
  2. Wer macht heute was? Wer ist heute wofür verantwortlich?
    (Tagesstruktur erinnern).
  3. Was machen wir Heute gemeinsam?
  4. Wie geht’s mir (a) mit mir (körperlich, mental, seelisch)? Mir (b) mit dir, mit Euch? Mir (c) mit der Umgebung? Wie geht es (d) uns miteinander?
  5. Was ist Heute wichtig? Was wünsche ich mir, was wünschen wir uns für Heute.
  6. Packen wir’s an („Give me Five“, evil. als „Air“)