Prinzipien der Kooperation in den Formaten
Psychologische Beratung, Psychotherapie, Supervision
Acht Thesen zur Zusammenarbeit
Jan Bleckwedel
Leitgedanke: Soviel Klarheit wie nötig, soviel Kooperation wie möglich.
1. Feldspezifische Besonderheiten der Kooperation beachten
Bei jeder Art der Zusammenarbeit sollen die jeweiligen Besonderheiten eines Arbeitsfeldesberücksichtigt werden. Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für Ausbildungs-Kooperationen im Feld psychologische Beratung, Psychotherapie und Supervision unterscheiden sich von Kooperationen in den Feldern Soziales, Medizin, Politik, Wirtschaft, Technik oder Kultur.
2. Grundlagen und Voraussetzungen von Kooperationen explizit formulieren und transparent kommunizieren
Rahmenbedingungen, Grundlagen und Voraussetzungen für Ausbildungs-Kooperationen im Feld psychologische Beratung, Psychotherapie und Supervision sollen (a) explizit formuliert und (b) transparent kommuniziert werden.
3. Orientierung an international gültigen fachlichen Standards und ethischen Leitlinien in Praxis und Lehre
Die Prinzipien der Zusammenarbeit in Ausbildung und Lehre sollen sich an den international gültigen fachlichen Standards und ethischen Leitlinien für die Beziehungsgestaltung in psychologischer Beratung, Psychotherapie und Supervision orientieren.
4. Prinzipien, fachliche Standards und ethische Leitlinien professioneller Zusammenarbeit in den Formaten psychologische Beratung, Psychotherapie und Supervision
Es gelten die fachlichen Standards und ethischen Leitlinien der jeweiligen nationalen und internationalen Fachverbände und professionellen Vereinigungen[1].
5. Transparente, informierte und reflektierte Zusammenarbeit in Praxis und Lehre
Rahmenbedingungen, Grundlagen, fachliche Standards und ethische Leitlinien sollen Klientensystemen gegenüber (in der passenden Form) benannt und offengelegt werden, um eine informierte Einwilligung zur Zusammenarbeit („Informed Consent“) zu ermöglichen. Die praktische Zusammenarbeit kann auf dieser Grundlage jederzeit kritisch von allen Partnern hinterfragt, reflektiert und gegebenenfalls (ohne Androhung von Repressalien oder Nachteilen) beendet werden.
6. Die therapeutische Beziehungen soll als sicherer Ort geschützt werden – Wächterfunktion, Schutz des Raumes, Schutz vor Schädigungen.
Wer als Klient psychologische Beratung, Psychotherapie oder Supervision in Anspruch nimmt, kann, im Rahmen von gegenseitigem Respekt[2], von einem besonders gesicherten Vertrauensraum ausgehen. Gleichzeitig sind Hilfebeziehungen durch eine grundlegende Asymmetrie (Wissen, Macht) gekennzeichnet[3]. Wird der therapeutische Raum nicht ausreichend geschützt, oder treten (vermeidbare) Schädigungen (des Vertrauens) in diesem intersubjektiven Raum auf, kann es zu besonders gravierenden Folgeschäden kommen. Diejenigen, die einen solchen Vertrauensraum anbieten, tragen daher eine besondere Verantwortung für sichere Rahmenbedingungen, den Schutz des Raumes und den Schutz von Klienten. Mit anderen Worten: Die vornehmste Aufgabe von Institutionen und Berater*innen, Therapeut*innen, Supervisor*innen besteht darin, den therapeutischen Vertrauensraum zu sichern und zu schützen. Diese Wächterfunktion gilt selbstverständlich auch für Ausbilder*innen, unabhängig von Richtungen, Verfahren oder Methoden, Orten, politischen Systemen oder Kulturen. Zu den unverzichtbaren Rahmenbedingungen und Standards gehören:
- Informierte, freiwillige und reflektierte Teilnahme[4]
- Vertraulichkeit, Verschwiegenheit und Datenschutz
- Freies Sprechen (eine Zensur findet nicht statt)
- Die Würde und Autonomie von Klient*innen und Klientensystemen wird geachtet
- Schutz vor Überwachung, Kontrolle oder Manipulation durch „Dritte“
- Transparente Beziehungsgestaltung, Schutz vor mentaler Manipulation
- Schutz vor dem Missbrauch von Macht in einer asymmetrischen Beziehung
- Schutz vor körperlichen oder mentalen Übergriffen in der Arbeitsbeziehung
- Rahmen aus gegenseitigem Respekt
- Arbeitsbündnis auf der Grundlage von Vertrauen und gemeinsam geteilten Zielen
- Weitgehender Schutz vor schwerwiegenden und nachhaltigen emotionalen Verletzungen und Schädigungen
All das gilt selbstverständlich auch für Ausbildungszusammenhänge in den Formaten psychologische Beratung, Psychotherapie und Supervision, die nicht nur den Modellfall eines geschützten Raumes darstellen, sondern in denen eben die fachlichen Standards und ethischen Regeln unterrichtet und vermittelt werden sollen, die unverzichtbar und hilfreich sind, wenn es darum geht, alle Akteure im Raum und den beschriebenen Vertrauensraum selbst (so weit als möglich) zu schützen[5].
7. Klarheit und Klärung: Direkte und offene Kommunikation über unterschiedliche Werte und Auffassungen
Es kommt vor, dass in der Zusammenarbeit unterschiedliche Auffassungen über grundlegende Werte, fachliche Standards und ethische Regeln auftauchen. Da diese die Grundlagen einer jeden Zusammenarbeit betreffen (den Kontext bilden, in dem alle Interaktionen und Kommunikationen ihre jeweilige Bedeutung erhalten), sollten solche Unterschiede thematisiert und (erstrangig) besprochen werden, mit dem Ziel, eine Klärung herbeizuführen, sowie über einen angemessenen Umgang mit unterschiedlichen Auffassungen zu beraten.
Bei unüberbrückbaren Auffassungen soll die Zusammenarbeit bis zu einer Klärung ausgesetzt werden. Kommt es zu keiner Einigung, soll die Zusammenarbeit beendet werden, da die Voraussetzungen für ein tragendes Arbeitsbündnis nicht (mehr) gegeben sind. Beendet werden soll die Zusammenarbeit auch dann, wenn in Dreieckskontrakten (zum Beispiel zwischen einer veranstaltenden Organisation, Teilnehmenden und Lehrenden) die Gefahr einer negativen Triangulierung besteht (etwa, wenn Teilnehmende durch einen Dissens in nicht zumutbare Loyalitätskonflikte geraten[6]).
8. Gegenseitiger Respekt – Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Eine respektvolle Zusammenarbeit in den Formaten psychologische Beratung, Psychotherapie und Supervision basiert auf gleichberechtigten, weitgehend „herrschaftsfrei“ (Habermas) gestalteten Diskursen. Nur so ist ein offener, authentischer und ehrlicher Austausch auf Augenhöhe möglich, auch über kontroverse, unbewusst gemachte oder kollektiv tabuisierte Themen. Solchermaßen gestaltete Dialoge schaffen Vertrauen und ermöglichen gegenseitiges, transkulturelles Lernen jenseits von Dominanzstreben. Ein fachlicher Austausch zwischen den Welten über unterschiedliche Welten sollte offen und angstfrei geführt werden können.
Jan Bleckwedel im April 2021
Fußnoten
[1] Die entsprechenden Dokumente können jederzeit über das Internet aufgerufen und eingesehen werden.
[2]Vgl. Bleckwedel, J. (2008). Systemische Therapie in Aktion. S. 39-55 u. S. 119ff
[3] Genauer in Bleckwedel, J. (2018). Supervision als praktizierte Ethik. Vortragsskript, Arbeitsblätter (unveröffentlicht).
[4] Der Umgang mit sogenannten Zwangskontexten oder Semi-Zwangskontexten stellt einen Spezialfall dar, der hier nicht weiter ausgeführt werden kann.
[5] Genauer dazu Bleckwedel, J., Skripten/PPTs zum Thema „Unterschiedliche Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten von Therapeut/innen und Klient/innen im therapeutischen Prozess“, oder „Systemic Therapy as Applied Ethics, Principles and Standards in Therapy. Synopsis of Chinese and German Principles and Standards in Therapy”.
[6] Für das Format Supervision ausführlich beschrieben in: Bleckwedel, J. (2020). Einen Auftrag zurückgeben. Eine Geschichte von professioneller Courage und Demut. Themenheft Gewagt: Courage, Zeitschrift Supervision 38 (4) 2020, S 28-32. Siehe auch: https://doi.org/10.30820/1431-7168-2020-4-28.