Thomas Mann über Freiheit

Veröffentlicht am Posted in Freiheit&Begrenzung, Freiheit&Fantasie

“ Nichts ist naiver, als die Freiheit fröhlich moralisierend gegen den Despotismus auszuspielen, denn sie ist ein beängstigendes Problem, beängstigend in dem Maße, dass es sich fragt, ob der Mensch um seiner seelischen und metaphysischen Geborgenheit willen nicht lieber den Schrecken will als die Freiheit.“

Thomas Mann in einer Rede in Chicago 1950

Siri Hustvedt über Eliten

Veröffentlicht am Posted in Macht&Missbrauch, Mediale Räume

13. Warum halten die meisten Amerikaner den Begriff »Elite« für etwas Schlechtes?

Als ich in einer Kleinstadt in Minnesota aufwuchs, waren mit Eliten Banker (sprichJuden), Stadtmenschen und Professoren gemeint, denen allesamt vorgeworfen wurde,rechtschaffene Nor­ malbürger herablassend zu behandeln. Dieses Gefühl gibt es nicht nur in den USA, aber die Wut der MAGA-Bewegung wird vom alten populistischen, antiin­ tellektuellen Treibstoff angetrieben. Auch Gott wird häufig beschworen: Wir· vertreten die Wahrheit. Dass ein Land viele verschiedene Arten von Menschen mit vielen verschiedenenGeschichten braucht, die viele verschiedene Dinge tun, darunter Menschen, die jahrelangin einem Labor gearbeitet oder Gedichte · geschrieben oder die einfach nur gelesen 1:1nd intensiv und leidenschaftlich darü­ ber nachgedacht haben, warum die Din­ ge so sind, wie sie sind, hat in MAGA­ Land keinen Platz, weil das bedeuten würde, Pluralismus, Unterschiede, ver­ schiedene Weltsichten und Unsicherheit zu akzeptieren. Es besteht kein Zweifel darandass·viele Menschen, die sich durch Geld, Bildung oder einfach nur Glück in der „Elite“ wiederfinden, genauso selbstgefallig, stur und von ihren zweifelhaften Wahrheiten überzeugt sind wie ihre Mitbürger mit den roten Kappen. Es-sind die Kategorien selbst, die verzerrt sind. Einfach nur gute Menschen gegen finstere, verschwörerische Eliten auszuspielen, mag zwar die Erleichterung verschaffen, die ein Sünden­ bock zu bieten hat, aber wenn uns die Geschichte eines lehrt, dann, dass der Engel-Teufel-Dualismus nicht nur ge­fährlich, sondern auch tödlich ist.

Freiheit und Gemeinwohl

Veröffentlicht am Posted in Freiheit&Begrenzung

Die Freiheit des Einzelnen wird durch Gemeinschaften hervorgebracht und begrenzt. Die Freiheit der Einzelnen in einer Gemeinschaft zeigt sich in der Freiheit, etwas tun oder lassen zu können.

Souveränität zeigt sich in der Freiheit, eine unabhängige Entscheidung treffen zu können. Mobilität zeigt sich in der Freiheit, sich ohne Schaden für andere durch Raum und Zeit bewegen zu können. Realitätssinn zeigt sich in der Freiheit, die unbestreitbaren Tatsachen und Fakten so annehmen zu können, wie sie sind. Kreativität zeigt sich in der Freiheit, die Umgebung zum Nutzen aller passend gestalten zu können. Solidarität zeigt sich in der Freiheit, die gemeinsam geteilten Freiheiten aller mit Blick auf das Gemeinwohl zu gestalten.

Eine freie Person in einer freien Gemeinschaft wäre eine mobile Person, die mit Sinn für die Realitäten souveräne Entscheidungen trifft, um, mit Blick auf das Gemeinwohl und die Freiheiten aller, Umgebungen kreativ und solidarisch zu gestalten.

Persönliche und gemeinsame Verantwortung

Veröffentlicht am Posted in Gerechtigkeit, Verantwortung

Die Verantwortung Einzelner (Einheiten eines Systems, z.B. Menschen, Gemeinschaften, Organisationen, Nationen) für etwas (das geschieht, z.B. Gewalt, Erderwärmung) kann nur mit Hilfe einer eindeutigen Logik 1. Ordnung (Ursache-Wirkungs-Abfolgen) zugeordnet bzw. festgestellt werden. Auf dieser Logik basieren all die Rechtsordnungen- und Systeme, die uns (hoffentlich noch länger) schützen (Jemand der/eine Gruppe die einer anderen Person/einer anderen Gruppe Gewalt antut, ist für die Tat (sein Tun) verantwortlich, unabhängig davon, wie er (sie) zu dieser Tat gekommen ist (welch Umstände vielleicht dazu beigetragen haben)).

Die gemeinsame oder gemeinschaftliche Verantwortung für etwas, das geschieht, können wir hingegen nur mit Hilfe einer zirkulären Logik 2. Ordnung (komplexe Wechselwirkungen) erkennen und erfassen.

Welche Logik wir, so verstehe ich Linn Hoffmann, nutzen (sollten), beziehungsweise welche Logik Priorität haben sollte, hängt von den Kontexten ab. Wir können jedoch beide Perspektiven nutzen. Ein Beispiel: Für die Vertuschung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die bereits vor 40-50 Jahren eine Erderwärmung vorausgesagt haben, sind Gas- und Ölkonzerne (und die dort handelnden Personen) verantwortlich, nicht „wir“. Wir, die Homo sapiens, sind verantwortlich für die menschengemachte Erderwärmung und unsere Sorglosigkeit (wobei daran reiche Menschen in reichen Ländern erheblich mehr Anteil haben als arme Menschen in armen Ländern.) Wofür bin ich persönlich, wofür sind wir gemeinschaftlich verantwortlich?

Es bleibt die Erkenntnis, dass sowohl Logiken erster Ordnung, als auch Logiken zweiter Ordnung vom Beobachtersystem abhängig sind.

Genug – Radikal hoffen

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Genug. 

Unter diesem Motto demonstrierten am 1. September Hunderttausende Israelis. 

Wenn wir zu hoffen aufhören, geschieht, was wir befürchten, bestimmt, sagt Ernst Bloch.

Zu hoffen bedeutet, in Zeiten  der Verzweiflung den Mut aufzubringen, an eine andere Welt zu glauben. Wir sind zerstörerische und verletzliche Wesen. Unsere Verletzlichkeit wird nie enden, so viel ist sicher. Aber wir können in jedem Moment damit beginnen, über die Grenzen der eigenen Gruppe hinweg moralisch zu empfinden und ethisch zu handeln. Wir können uns weigern, irgendeinen Menschen danach zu beurteilen, welcher Gruppe er zufällig angehört.  Das ist nicht unmöglich, es gibt Beispiele. 

Eine Politik, der Hoffnung wäre getragen von diesem Gedanken und dieser Erfahrung. 

Wir sind auf die Zukunft bezogen, obwohl niemand mit Sicherheit die Zukunft voraussehen kann. Wer die Zukunft allein im Spiegel der  Vergangenheit betrachtet, bleibt in der Vergangenheit gefangen. Wer zu hoffen wagt, kann sich überraschen lassen. 

Genug.

Die Zukunft kann in der Gegenwart auftauchen wie eine Gestalt, die wir noch nicht kennen.  

 

4. September 2024, JB

Innehalten

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Unser Handeln ist immer von Beobachtungen begleitet. Wir handeln, andere handeln, wir handeln gemeinsam mit anderen, und wir und die anderen beobachten uns dabei. Doch jenseits von aktivem Handeln und Beobachten gibt es ein stilles Beobachten. Ich sitze in einem Konzert, höre Musik und beobachte meine Empfindungen. Ich sitze in einem Café, lege alles beiseite, die Zeitung, den Stift, und beobachte, wie Leute kommen und gehen, lasse meinem Geist und meinen Empfindungen freien Lauf und werde ganz ruhig und bemerke kaum, wie die Zeit vergeht.

Jenseits vom Getümmel der Welt, im Zustand des achtsamen Innehaltens und absichtslosen Leiseseins klärt sich der Geist von selbst und wird empfangsbereit.

Achtung – Homo Sapiens

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Die mächtigsten und reichsten unter den Menschen sind häufig die größten Arschlöcher. Sie schaden der Menschheit und werden dennoch bewundert. Irgendetwas mit dieser Spezies kann nicht stimmen.

(nach dem Lesen eines Artikels über Elon Musk)

Moralspektakel – Ein Buch über die neue Unduldsamkeit von Philipp Hübl

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Eine Rezension von Stefan Beher beschreibt, in meiner Welt treffend, Entwicklungen, die vielen Sorge bereiten. Nur— einfach ignorieren, das wird nicht so einfach. Die herausragende Rezension und das Buch selbst zeigen es ja. Neben der Beschreibung beschäftigt mich die Frage: woher kommt dieser Furor? Könnte es sein, dass auch postmodernes und systemisches Denken in der Entwicklung eine Rolle spielen?

Systemisches Denken war und ist für mich zutiefst erschütternd. Ein ökosystemisches Weltbild bedeutet in der Konsequenz, dass wir uns von tief verwurzelten Vorstellungen verabschieden müssen. Wenn wir die Tatsachen (Wittgenstein, Kybernetik zweiter Ordnung) anerkennen, dann gibt es keine absoluten Wahrheiten, die wir erkennen könnten – allenfalls Bezugspunkte in der Kommunikation über Ideenwelten und empirische Forschungsergebnisse, um uns über „Wahrheiten über Wahrheiten“ auszutauschen. Diese Idee erscheint zunächst leicht und befreiend, vielleicht haben wir darüber vergessen, wie kränkend und verunsichernd sie ist. Wer will, wer kann so leben, und woran sollen wir uns dann orientieren, in einer bedrohlichen Welt voller Ungewissheiten.

Könnte es sein, so frage ich mich, dass der neofortschrittliche moralische Furor – der dem moralischen Wüten aller Zeiten so sehr ähnelt, und von dem wir „Golden Agers“ irrtümlich annahmen, er sei vorüber,– diese Lücke füllt? Wurde vielleicht mit dem Streben nach absoluter Wahrheit das Streben nach gemeinsamen geteilten Wahrheiten gleich mit entsorgt? Und wird nun die daraus entstehende geistige und emotionale Leere mit identitären Ideologien und absolutistischer Moral gefüllt? Wo Tabula rasa gemacht wurde blühen postfaktische, subjektivistische Ideologien. Das würde, zumindest ein wenig, erklären, warum postmodern geprägte intellektuelle Milieus besonders von der neuen Kultur der Unduldsamkeit betroffen sind. In den Schatten der Postmoderne marschiert die Gegenaufklärung. Sollen wir lachen oder weinen? 

Die Sehnsucht nach Orientierung in einer zerfallenden Welt wird stärker. Dialektik der Aufklärung. Wer, wie Gregory Bateson, auf die Lücken im Geflecht von Geist und Natur hinweist, muss nicht nur jeden Tag aufs Neue um seine eigene erkenntnistheoretische Bescheidenheit kämpfen, sondern auch mit der Wut rechnen, die mit dem Verlust absoluter Bezugspunkte einhergeht.

Aufklärung, zumal die Aufklärung über sich selbst, ist verdammt anstrengend, bedeutet sie doch nichts weniger als den Versuch, immer wieder gemeinsam mit anderen nach sinnvollen Bezugspunkten zu suchen. Das wird, ich spreche da nur von mir selbst, nicht leichter, wenn einem seltsame bis absurde Gewissheiten entgegen geschleudert werden.

Lesen hilft: „Auch die Verbreitung der reinsten subjektiven Erkenntnis macht einem keine unbedingte Freude mehr, wenn man erst auf folgendes gekommen ist: dass alle Erkenntnis nur aus dem Streben entsteht, Beweisgründe für die eigene Art zu sammeln, dass alle Erkenntnis nur Mittel ist, das eigene Wesen herauszuarbeiten, gegen die Welt zu behaupten“ (Feuchtwanger, 1935/1983, S. 417, zit. nach Bleckwedel, 2008. S. 97). Mit diesem Problem sollte man rechnen und sich darauf einstellen, dass der unabschließbare Weg vorläufigen Erkennens ein verdammt hartes Geschäft ist.

Jan Bleckwedel, Bremen

Die Welt offen halten – gegen den alten und neuen Rassismus

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„Ich weigere mich, irgendjemanden danach zu beurteilen, welcher Gruppe er zufällig angehört“ schreibt Primo Levi im deutschen Vorwort zu seinem Buch über seine Erfahrungen in Ausschwitz (Ist das ein Mensch) – explizit an seinen deutschen Übersetzer gerichtet.

Der bekannte israelische Sozialpsychologe Gilad Hirschberger, ein Experte für kollektive Traumatisierung, wurde im Februar 2024 zu einer Konferenz nach Oslo eingeladen. Im Mai wurde er durch das Organisationskomitee der Konferenz wieder ausgeladen, mit dem Argument, „dass wir eine Kollaboration mit Repräsentanten von Ländern vermeiden sollen, die sich im Krieg befinden“. Er schreibt dazu: “ Ein Individuum wegen dessen Gruppenzugehörigkeit negativ zu behandeln, ist die Essenz eines Vorurteils. Wenn selbst Psychologen ihre Vorurteile nicht zurückhalten können, und wenn selbst klinische Psychologen solche Intoleranz ausdrücken, welche Hoffnung besteht dann für den Rest der Welt“.

Shifra Sagy von der Ben-Gurion-Universität, die sich mit Versöhnungsarbeit zwischen Israelis und Palästinenser beschäftigt, wurde im Jahr 2018 von einem Podium in Südafrika verbannt, weil der in Europa von vielen bewunderte postkoloniale Denker Achill Mbembe die Veranstalter vor die Wahl stellte: Entweder die oder ich – mit der Begründung, er wolle kein Podium teilen, kein Gespräch führen mit einer Israelin, ganz gleich, was diese zu sagen habe.

Die Welt darf sich weder dem alten noch dem neuen Rassismus, der im Gewand des Antirassismus daherkommt, nicht beugen. Die Anhänger universell gültiger Werte können mutig aufstehen und mit Primo Levi sagen: Wir weigern uns, irgendeinen Menschen danach zu beurteilen, welcher Gruppe er zufällig angehört.

Statement against the Boycott of Israeli Academics

Gemeinsam mit mehr als 8.000 Akademiker*innen weltweit haben auch einige unserer Mitglieder das wichtige Statement against the Boycott of Israeli Academics unterzeichnet.

Das Statement kann leider (Stand 25.05.2024, 13h) nicht mehr mitgezeichnet werden.

Wir bedanken uns bei den Initiator*innen Anne Rethmann, Daniel Siemens und Helmut Walser Smith für die wichtige Initiative, und dokumentieren den Wortlaut im Folgenden. Unterzeichner*innen unter oben stehendem Link.

Statement against the Boycott of Israeli Academics

May 14, 2024

We, scholars from the humanities and social sciences, though not exclusively from these fields, are deeply concerned about the increasing isolation of our academic colleagues in Israel. Calls for boycotts against Israeli academic institutions are not new, but since the brutal attack by Hamas on October 7th and the subsequent Israeli-Hamas War, these calls have taken on a new dimension. On April 12, 2024, the Israeli daily newspaper Haaretz published an article based on interviews with over 60 Israeli scholars and reported an astonishing range of discriminatory practices. These include the termination of scientific collaborations, cancellation of conference invitations, refusal to consider scholarly submissions to journals, rejections of promotion evaluations, and withdrawal of offers for academic appointments, among other instances.

Regardless of how each of us currently analyzes the situation on the ground and evaluates the actions of the Israeli government and army, we want to make clear that we stand against all forms of boycotts targeting Israeli scholars and Israeli academic institutions. We firmly advocate for cooperation and continued work with them. We are also convinced that the gradual, often subtle exclusion of Israeli scholars contradicts fundamental principles of professional comportment and academic freedom. Moreover, an academic boycott against Israel is counterproductive regarding internal Israeli debates as well as Israeli-Palestinian dialogue, as Barak Medina argued in his essay Is it Justified to Boycott Israeli Academia?

We strongly believe that international exchange – especially in troubled times like these – is essential for maintaining an open and global academic community. The alarming trend of excluding Israeli scholars from international academic discourse requires unequivocal response on our part. We, the undersigned, call on scholars to stand in solidarity with our Israeli colleagues on this critical issue.

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